Abendsegen | Mittwoch, 26. August

Ein wichtiger Text in der Bibel ist die Bergpredigt. In politisch erregten Zeiten hört man: „Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren“, so Helmut Schmidt. „Nur mit der Bergpredigt lebt ein Christ politisch“, so Erhard Eppler. Die Bergpredigt beginnt Seligpreisungen, die heute so lauten könnten.
„Selig sind, die intelligent genug sind, um sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, denn sie werden
von ihrer Umgebung geschätzt werden.
Selig seid ihr, wenn ihr fähig seid, das Verhalten der anderen mit Wohlwollen zu interpretieren,
auch wenn der Anschein dagegen spricht, denn ihr werdet für naiv gehalten, aber das ist der Preis für die Liebe.
Selig sind die, die einen Berg von einem Maulwurfshügel unterscheiden können, denn es wird ihnene eine Menge Ärger erspart bleiben.
Selig seid ihr, die ihr schweigen und lächeln könnt, auch wenn man euch das Wort abschneidet
oder auf die Zehen tritt, denn das Evangelium fängt an, euer Herz zu durchdringen.“

Unser Vater, schenke uns einen seligen Schlaf, auch wenn heute Nacht wieder schrecklicher Lärm auf der Straße ist und die Autos fürchterliche Rasereien veranstalten.

Quelle: Joseph Foillet, Seligkeiten für die, die ein bisschen Humor haben und weise werden wollen, in: Bernd Becker, Hans Möhler, Abendfibel für müde Seelen, Luther Verlag, Bielefeld 2019, 58 (Auszüge)

Abendsegen | Dienstag, 25. August

Dorothee Sölle, eine Predigerin mit der Leidenschaft einer Prophetin, lernte von den Ereignissen in der weltweiten Ökumene, aber auch von ihrer Enkeltochter. Sie erzählte: „Dieses kleine Mädchen, dreieinhalb Jahre alt, holte alle meine Tassen aus dem Schrank und baute sich – unter meinen besorgten Augen – ein Cafe auf. Sie schenkte imaginären Kaffee an imaginäre Gäste aus, Nach einer Weile sagte ihre Mutter: „Jetzt musst du aber aufräumen, wir wollen zu Abend essen!“ Das Kind antwortete nachdenklich: „Mama, du, du denkst immer nur in  „in echt“!“ . Dorothee Sölle fügte hinzu: „Ich habe die vergangenen 50 Jahre sehr oft nicht „in echt“ gedacht, viel in Träumen und Hoffen, dass es außer „in echt“ noch etwas anderes geben müsse. Bedeutet denn Erwachsenwerden mehr „in echt“ zu leben, blinder und ein bisschen dümmer?“ So weit Dorothee Sölle. Ich würde einwerfen: „Was ist mit der Hummel?“

Die Hummel hat 0,7 cm Flügelfläche und wiegt 1,2 Gramm. Nach allen Gesetzen der Wissenschaft ist es unmöglich, damit zu fliegen. Die Hummel weiß das nicht und fliegt einfach!“

Unser Vater, wir bitten dich: Lass den Schlaf in echt kommen und die Träume aus der Kindheit

dazu!

Abendsegen | Montag, 24. August

„Erstaunlich, dass man täglich andere erheitern kann, nicht nur die nahen, auch ganz
unbekannte Menschen, deren Müdesein sich mühelos durchbrechen lässt durch etwas
Unerwartetes, eine unberechenbare Freundlichkeit, ein ungefragtes Geschenk, eine nebensächliche Gabe, eine überraschende Anteilnahme. In der Manteltasche sollte man für den Geliebten stets einen Bleistift von Koh-i-Noor tragen, schreibt Milena Jesenskaja, die Freundin des Dichters Franz Kafka. Für griesgrämige Schalterbeamte lohnt es, einen Marienkäfer aus Schokolade einzustecken oder für eine bleiche Verkäuferin oder für einen verregneten Verkehrspolizisten. Komplimente gehören auch zu den Geschenken. Und wenn man es bedenkt, ist erstaunlich, wenn man es nicht tut: anderen den Tag angenehmer zu machen.“
So rät es uns die Berliner Schriftstellerin Katharina Hacker, morgen anderen den Tag angenehmer zu machen! Danke!

Unser Vater, lass uns in gutem Nachdenken einschlafen, wem wir wohl morgen den Tag angenehmer machen könnten…eine fällt mir schon ein…

Quelle. Katharina Hacker, Darf ich dir das Sie anbieten?, Berenberg Verlag Berlin 2019

Abendsegen | Sonntag, 16. August

Zum Wochenbeginn eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert von Johann Peter Hebel, Pfarrer, Erzähler und Erzieher, verehrt von Goethe bis Brecht und Bloch. “Dankbarkeit“ nennt Hebel
seine Geschichte:
„In der See-Schlacht von Trafalgar (1805), während die Kugeln sausten und die Mastbäume krachten, fand ein Matrose noch Zeit zu kratzen, wo es ihn biss, nämlich auf dem Kopf. Er streifte mit Daumen und Zeigefinger an einem Haar herab und ließ ein armes Tierlein auf den Boden fallen. Aber indem er sich bückte, um dem Tierlein den Garaus zu machen, flog eine feindliche Kanonenkugel über den Rücken hinweg, paff, in das benachbarte Schiff. Da ergreift den Matrosen ein dankbares Gefühl und überzeugt, dass er von dieser Kugel zerschmettert worden wäre, wenn er sich nicht nach dem Tierlein gebückt hätte. hob er es wieder auf und setzte es wieder auf den Kopf. „Weil du mir das Leben gerettet hast, aber lass dich nicht ein zweitesmal erwischen, dann kenne ich dich nimmer!“

Unser Vater in den Himmeln, segne unseren Schlaf. Hilf uns, in der neuen Woche Situationen der Dankbarkeit wahrzunehmen und sie auszusprechen.

Quelle: Johann Peter Hebel, Gesammelte Werke, Bd. 3, Wallstein Verlag Göttingen 2019, 391

Abendsegen | Sonnabend, 15. August

Einer der großen in der Geschichte Europas war Thomas Morus, ein englischer Staatsmann,
Reformer, Diplomat. Ach, hätten die heutigen nur einen Atemzug von ihm. Er entwarf das Bild einer neuen, anderen Gesellschaft und nannte sie „Utopia“, was so etwas wie „Anderer Ort“ heißt, nicht wie dieser, denn wir kennen. Er hat ein „Gebet um Humor“ geschrieben:
„Schenke mir eine gute Verdauung, Herr, und auch etwas zum Verdauen! Schenke mir Gesundheit des Leibes mit dem Sinn dafür, ihn möglichst gut zu erhalten. Schenke mir eine Seele, der die Langeweile fremd ist, lasse nicht zu, dass ich mir allzuviel Sorgen mache um dieses sich breitmachende Etwas, das sich „Ich“ nennt. Schenke mir Sinn für Humor, gib mir die Gnade einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.Amen.“

Unser Vater, lass uns nachdenken beim Schlaffinden über diese Worte und gib uns die Gnade, am morgigen Tag einen Scherz zu verstehen, noch besser, einen Scherz für andere zu machen.

Quelle: Thomas Morus, Gebet um Humor (Auszüge), in: Bernd Becker, Hans Möhler, Abendfibel müder Seelen, Luther Verlag Bielefeld, 24

Abendsegen | Freitag, 14. August

Es ist Freitagabend geworden; in den Synagogen gehen die Schabbatfeiern zu Ende. Aus dem Lieder- und Gebetbuch für Juden und Christen, den Psalmen, hören wir Worte aus dem 73. Psalm, übersetzt von Arnold Stadler.
Gott ist für Israel nichts als gut
für alle reinen Herzen
Und was ist mit mir?
Fast wäre ich gestolpert und umgekippt, denn
ich habe mich über die Reichen empört!
Ich war außer mir, als ich sah,
dass es dieser Gesellschaft so gut ging.

Sie kennen unseren Schmerz nicht.
Sie können kaum aus den Augen sehen vor Überfluss
und dabei denken sie sich neue Geschäfte aus.
Was sie sagen, verschlägt mir die Sprache
Sie reißen das Maul auf, das Volk bewundert sie auch noch.
Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich fest an meiner Hand.
Was ist der Himmel anderes als Du? Gott nahe zu sein ist gut für mich.

Quelle: Arnold Stadler, „Die Menschen lügen. Alle.“ und andere Psalmen, Insel Verlag
Frankfurt a. M. 2002, 49

Abendsegen | Donnerstag, 13. August

Ein warmer Abend im Rund des Gartenlokals, Masken abgenommen, Stühle im bekömmlichen Abstand, die Getränke kühl – ein Politikstudent feierte sein Examen – drei Generationen saßen da, fast auf der Grenze zwischen Babelsberg und Zehlendorf. Jemand warf ein: „Und der 13. August 1961, was war hier los?“ Das Gespräch brach ab, Verlegenheit zog ein. Achselzucken, was soll das am Examensabend? 13. August? Keine Ahnung. So blieb es: Keine Ahnung! Nach dem 17. Juni wollte ich nicht mehr fragen…
Der 13. August – ein hässliches Datum. Die rohe und hässliche Mauer war ein roher und hässlicher Schlag gegen das gemeinsame Leben in der Stadt; Terror als Bauwerk. Es gab Menschen, die nicht in Schockstarre verfielen; hoffende, einfallsreiche, listige, pfiffige, ungebrochene Menschen, bis die Mauer endlich umbrach. Verzagt und trotzig zugleich, bekümmert und unbekümmert zugleich, sahen das Wirkliche und das Mögliche zugleich. Sie lebten für das „und“. Die Mauer fiel dank der Menschen mit dem Möglichkeitssinn und der Trotzenergie.
Darf man sie vergessen?

Unser Vater, gib uns befreiende Gedanken zur Nacht, zur aufatmenden Erinnerung, dass der 13. August kein Alptraum blieb und ein stärkendes Gedenken des trotzigen Widerstands!

Abendsegen | Mittwoch, 12. August

Die ersten Schultage sind vorüber. Ersehnt, gefürchtet, aber auch geplant, überlegt und von allen
Beteiligten mit Spannung erwartet. So lange es Menschen gibt, gibt es Schulsorgen! In der
jüdisch-christlichen Tradition heißt es so liebevoll wie provokant: „Die Zukunft der Welt ruht auf dem Atem der lernenden Schulkinder!“. Anders als in dem dummen Wort von der lärmenden Judenschule bauen hier die mündlich lebhaft lernenden Kinder die künftige Gesellschaft. Die gewichtige Zukunft ruht auf dem leichten Atem der Kinder. Verstummt dieser Atem– was wird mit der Zukunft ? Deshalb hier die Geschichte von Fanny:
„“Fanny, wach auf“, die Mutter klopft frühmorgens an die Tür. Stille, dann verschlafen: „Ich mag nicht!“. Erneutes Pochen: „Du musst in die Schule!“ „Ich mag nicht!“, klingt es klagend, „ach, es ist so langweilig, die Kindern ärgern mich, sie sind so anstrengend!“ Nun hat die Mutter genug: „Drei Gründe, weshalb du in die Schule gehen sollst: Erstens ist es deine Pflicht, zweitens bist du 34 und drittens, Fanny, bist du die Lehrerin!“

Die himmlischen Mächte mögen Ihnen eine ruhige Nacht schenken, frei von Lerngeschrei und
fliegenden Schwämmen, bis wie auch immer ein neuer lebhafter Schultag anbricht!

Abendsegen | Dienstag, 11. August

Berlin ist eine Stadt voller Ideen. Hier starten die meisten kleinen und großen ideenreichen und phantasievollen Unternehmen der Wirtschaft, der Kultur und dem Zusammenleben zu Gute.
Darf ich eine Stadt erwähnen, die ebenfalls viele menschenfreundliche Ideen bewegt hat ? Zürich! Zürich hat viele Brunnen und – fast alle Brunnen sind Trinkbrunnen! Niemand, der in Zürich unterwegs ist, muss Durst haben. Es erinnert fast an das Paradies! Das Gesicht und die Arme erfrischen, die Wasserflaschen auffüllen, becherweise trinken – wunderbar!
Mit hochroten Köpfen fragten mich in Zürich einmal zwei Touristinnen: „Wo gibt’s denn hier einen Laden, in dem man Wasser kaufen kann? In den Restaurants ist das alles so teuer!“ Sie standen ein paar Meter neben einem modernen schönen Brunnen an der alten Fraumünster-Kirche. Ich zeigte auf ihn: „Überall in der Stadt haben Sie die Möglichkeit, ihren Durst zu löschen! Ein sprudelndes
Echo vom Paradies…“ Sie sahen mich ein wenig besorgt an, genossen es dann aber.

Unser Vater, Segne diese Nacht und erinnere uns an das Wasser aus dem Brunnen, auch wenn es in einer Flasche verlässlich neben unserem Bett steht! Ein kühler Trunk ist wie ein Gruß aus
der Ferne

Abendsegen | Montag, 10. August

„Abgesagt“ – „Nicht abgesagt“ , zwei wichtige Worte in der Virus-Krise wie
„ Findet nicht statt“ – „findet statt“. Die Folge war oft Verzicht und Vergnügen,
Enttäuschung und Freude. Daraus hat meine Schweizer Kollegin Jaqueline Keune
eine coronar – Litanei gemacht. Einige Auszüge:

„Abgesagt – Haydn, Mozart, Schubert, dirigiert von Marek Janoswki
Nicht abgesagt – das Cello im 3. Stock, das Lied der Amsel
Abgesagt – die Lesung des Literaten
Nicht abgesagt – das Lesen des abendlichen Gedichtes, die Geschichte für die Kinder
Abgesagt – der Gottesdienst
Nicht abgesagt – das Flüstern mit Gott
Abgesagt – die Hochzeit
Nicht abgesagt – die Liebe
Abgesagt – die Abdankung
Nicht abgesagt – die Auferstehung.“

Unser Vater, schenke uns eine wohltuende Absage an die Tagesaufregungen, schenke uns
die wohltuende Ansage eines guten Morgens!

Quelle: Jacqueline Keune, Corona-Litanei, (Auszüge) 27. 03. 2020, kath.ch.