Apropos Pfingsten

Wo die Seele sitzt – Was die Bibel über den Körper weiß
9. Juni 2003 Antenne Brandenburg

I.
„Der Seele Raum geben“ – das klingt wie die Einladung eines Reise-Unternehmens, auszuruhen im Schatten der Tempel von Burma , bei Nacht auf dem Markt von Marrakesch einen Teppich zu erstehen oder den langen Weg nach Santiago da Compostela an der Westspitze Europas zu wandern…“Der Seele Raum geben“ – vermutlich ein sehr deutsches Grundgefühl aus Sehnsucht, Fernweh, Schönheitsverlangen und dem Bedürfnis nach grenzenloser Freiheit, möglichst über den Wolken, hinter den Bergen und jenseits des Horizonts.


I.
„Der Seele Raum geben“ – das klingt wie die Einladung eines Reise-Unternehmens, auszuruhen im Schatten der Tempel von Burma , bei Nacht auf dem Markt von Marrakesch einen Teppich zu erstehen oder den langen Weg nach Santiago da Compostela an der Westspitze Europas zu wandern…“Der Seele Raum geben“ – vermutlich ein sehr deutsches Grundgefühl aus Sehnsucht, Fernweh, Schönheitsverlangen und dem Bedürfnis nach grenzenloser Freiheit, möglichst über den Wolken, hinter den Bergen und jenseits des Horizonts.
„Der Seele Raum geben“ – berufliche Verstrickungen, familiäre Alltagswelt, alles, was die Sehnsucht nach einem ganz anderen Leben niederhält, wie gern würde man es los, könnte einmal aus seiner Haut fahren und mit der alten Haut noch allerhand anderes loswerden und endlich „der Seele Raum geben“, wie es bei Joseph von Eichendorff heißt:

II.
„Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand,
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!“

II.
„Der Seele Raum geben – Kirchen als Orte der Besinnung und Ermutigung“ das war das Leitwort einer großen Kirchenversammlung in Leipzig, die auch mit Reisen und Ruhefinden zu tun hatte. Bei einer Kundgebung hieß es: „Wer eine Kirche aufsucht, betritt einen Raum, der für eine andere Welt steht. Ob man das Heilige sucht, ob man Segen oder Ruhe sucht, immer spricht der Raum: durch seinen Bau, seine Geschichte, seine Kunst. Hier kann die Seele durchatmen und Kraft schöpfen für den Alltag“. Also auch hier Eichendorff, mit seiner großen Gebärde:

II.
„Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus…“

I.
Da ist etwas nachzufühlen vom Leben der Seele, jedenfalls in der Sehnsucht danach. Schon die Kunst Ägypten zeigt die Kunst die Seele im Bild des Vogels auf schönen Schmuckstücken. Die große Jugendbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts fand ihre Seele im Bild des davonziehenden Vogels, des „Wandervogels.“ Ein heimliches Grundmotiv vieler DDR-Schlager war der Vogel, den keine Grenzen, und keine Mauern aufhalten wie eben der „Albatros“. War es ein Zufall, dass das größte Jugendtreffen der DDR zu Pfingsten stattfand, des Festes, an dem Seele und Geist geradezu unwiderstehlich dort wehen, wo sie wollen…?

II.
„Meine Seele ist sehr erschrocken,
sehr verstört ist meine Seele
Wie sagt ihr denn zu meiner Seele:
Flieh wie ein Vogel auf die Berge!
Die Feinde spannen den Bogen
Und legen Pfeile auf die Sehnen.
Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel,
das Netz ist zerrissen, und wir sind frei!“

I.
Worte aus dem biblischen Buch der Psalmen. In den Psalmen wendet sich häufig der Mensch an Gott mit der Bitte: „Errette meine Seele!“. Dieses „errette“ müsste man deutlicher übersetzen: „Entschnüre meine Seele!“, denn der Mensch fühlt sich wie in einem Netz gefangen, verstrickt, hilflos ausgeliefert, unfähig, die Flügel noch auszuspannen. Er sehnt sich danach, einem Vogel gleich die Flügel ausbreiten und davon fliegen zu können. So ist die Seele das Organ der Sehnsucht nach Freiheit. Im Blick auf die Ausländer und die fremden Arbeiter im Land wird dem Volk eingeschärft:

II.
„Die Fremden sollt ihr nicht unterdrücken, denn ihr kennt die Seele der Fremden, weil ihr selbst Fremde in Ägypten gewesen seid!“

I.
Die Bibel erzählt von der Erschaffung des Menschen des Menschen so, dass dabei etwas vom Geheimnis des Lebens sichtbar wird: Gott macht den Menschen aus Erde vom Acker, und er wird lebendig, als Gott ihm seinen Atem in die Nase bläst. Die Erzählung gipfelt in dem Satz:
„So ward der Mensch eine lebendige Seele“. Der Mensch bekommt keine Seele, sondern er wird zur lebendigen Seele, er ist eine lebendige Seele. Was Leben bedeutet, ist erkennbar im Vorgang des Atmens. Nichts Lebendiges lebt aus sich, wir sind angewiesen auf die Luft zum Atmen. Diese enge Verbindung von Leben und Atmen drückt sich im Doppelsinn des hebräischen Wortes „nefesch“ aus: Es meint nicht nur die Seele, sondern auch die Kehle, den verletzlichen Engpass des Atems. Nur in der Bewegung des Atmens lebt der Mensch, sein Leben ist unfassbar und flüchtig wie sein Atem.

II.
„Der Seele Raum geben“, heißt dann aufatmen können, wieder Luft schöpfen, durchatmen lernen und aus dem atemlosen, hechelnden, keuchenden, Luft schnappenden täglichen Wettrennen herauskommen. Doch die Bibel verschweigt nicht, dass sich das Verlangen der Seele bis zur Gier steigern kann, die den anderen Menschen verschlingt. Die Kehle ist nicht nur das Organ des Atmens, sondern auch des Verschlingens. Die Kehle wird dann zum Schlund, der in Gier und mit Verlangen den anderen Menschen verschlingen will. Sie ist kein göttlicher Funke im Kerker des Leibes, steht nicht contra zum Leib, sondern die Seele hat ihren Ort in der Kehle und ist sterblich und verletzlich wie sie auch.

I.
Die Seele bin also ich, mein Atem, mein Leben, meine Vitalität – und die Seele hat einen Ort: die Kehle. Was mir die Kehle verschließt, nimmt mir das Leben. Scham und Schrecken schnüren mir die Kehle, die Seele, zu. Meine Kehle kann aber auch das Leben anderer verschlingen. – doch verantwortlich ist sie dafür nicht. In der biblischen Körpersymbolik wird der Verantwortlichkeit ein anderer Platz zugewiesen: das Herz. Das Herz des Menschen ist der Sitz des Willens, der Pläne, des Gewissens und der Erinnerung.
An beidem sterben die Menschen am häufigsten: An Atemnot und den Herzerkrankungen. Doch das ist ein neues Thema; wir fragen noch einmal: Was ist die Seele eigentlich?

II.
In der Seele sammeln sich unsere Grundgefühle: Sehnsucht und Angst, Verlangen und Glück,
Bitternis und Liebe. In ihr ist alles versammelt, was meinem Leben Wärme und Farbe gibt. Eigentlich ist sie mein Leben, mein Leben in seinen Höhepunkten wie mit seinen Abgründen. Das Wort „Seele“ hat im Deutschen mit dem „See“ als etwas Abgründigen zu tun, aber auch in der biblischen Sprache, dem Hebräischen, gibt es eine dunkle Zuordnung der Seele, der „nefesch“ zum Blut. Wer sich an die jüdischen Speisegebote hält, darf kein Blut zu sich nehmen, denn „im Blut ist die Seele“ oder „das Blut ist die Seele“.

I.
Unsere Lebendigkeit wird im pulsierenden Blut genauso erfahren wie im Wechsel von Ein- und Ausatmen. Pulsschlag und Atem werden dabei nicht von unserem Bewusstsein gesteuert, unsere Lebendigkeit wirkt sich in uns aus. Genau dies entspricht dem biblischen Bild vom Menschen: Es geht nie um abstrakte Begriffe wie Leben, Macht, Angst oder Schönheit, es geht um eine im Körper zu findende Bewegung, Wirkung, Dynamik. Ein Beispiel: Macht – das ist etwas, was eine starke Hand ausführt; Unterdrückung – das ist das, was ein starker Fuß kann, z.B. sich auf den Nacken des Feindes stellen; Schönheit – das ist der verliebte Blick der Augen. Immer geht es um den Ausdruck, die Wirkung, die Bewegung, die Körperlichkeit, den konkreten Leib.

II.
Dann sind also die Augen schön, weil sie Liebesbotschaften senden; das Haar, weil es vor Kraft strotzt; die Zähle, weil sie weiß strahlen im Kontrast zu den roten Lippen; der Hals, weil er stolz und aufrecht ist. So gibt es also nicht die „Schönheit“ oder „die Macht“, sondern immer nur die Beziehung zwischen zwei oder mehr Menschen, die sich auswirkt. So wie es das Wort für das „Angesicht“ des Menschen nur in einer Mehrzahlform gibt. Das hebräische Denken kann sich den Menschen als Einzelnen nicht denken, es gibt ihn nur „von Angesicht zu Angesicht“.

I.
Dieses Menschen-Bild aus dem Alten Testament finden wir auch im Neuen Testament. Männer und Frauen in ihrer Körperlichkeit stehen im Mittelpunkt derer Begegnungen mit Jesus von Nazareth. Man möchte von seiner Praxis der Hände sprechen, mit denen er Menschen hilft und berührt, mit denen er Menschen segnet, aber auch Brot bricht und austeilt und die Tische der Geldwechsler aus Haus Gottes hinauswirft. Man könnte ebenso von seiner Praxis der Füße sprechen, mit denen er die Füße der Menschen auf den Weg des Friedens lenken will. Und von seiner Praxis der Augen, mit denen er die Machenschaften der Mächtigen durchschaut und die Unansehnlichen und Übersehenen ansieht und ihnen ihre menschliche Würde zurückgibt. Der nächste Schritt aus dieser Praxis ist die Aufforderung an die Christinnen und Christen am Pfingstfest:

II.
„Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr euch nicht selbst gehört? So verherrlicht nun Gott in eurem Leib
Der Apostel Paulus schreibt dies an die Männer in der Gemeinde der Hafenstadt Korinth, ein heißes Pflaster besonderer Art, die Metropole der Bordelle. Und er weiß, dass Tempel Orte der Gegenwart Gottes sind, heilige Bezirke mit schönen Gärten, Quellen, Teichen und Wohlgerüchen. Der Dreck des Lebens und der Schmutz des Alltags hatten hier nichts zu suchen.
Wenn der menschliche Leib als Tempel bezeichnet wird, wird die Gegenwart Gottes in unserer Leiblichkeit in Erinnerung gebracht. Dies Heiligtum Gottes auf Erden muss geschützt werden. Wir verherrlichen Gott, indem wir den Leib in allen seinen Gliedern heilig halten.

I.
Dazu gehören das Herz mit dem Verstand, die Augen mit ihren Blicken, die Ohren mit ihrem Gehör, der Mund mit seinem Loben, die Hand mit ihrem Helfen, die Füße mit ihrem Wandern, der Bauch mit seinen Gefühlen und die Kehle, die Seele, mit ihrem lebenschaffenden Atmen.
Der Ort der Seele ist die Kehle – wir sind eingebunden in den großen Zusammenhang von ein- und ausatmen, aufnahmen und wieder verströmen. Wer nur nehmen und festhalten will, kann nicht wirklich leben, zum Leben gehört auch das Hingeben. So jedenfalls weiß es die Seele, sie ist das eigentlich Lebendige in mir.