In der Londoner Untergrundbahn hing vor Jahren eine Werbung: „Surprise the Germans -speak their language!“ Die Überraschung, in der eigenen Sprache angesprochen zu werden, ist immer groß, immer angenehm und sehr erfreulich! Beruflich hatte ich oft Menschen zu danken für das wunderbare Deutsch, in dem sie zum Beispiel Ihren Vortrag gehalten hatten – ich selber hatte sie oft nur leidlich, ja mühsam auf polnisch, hebraisch, spanisch oder italienisch begrüßt. Wörtlich genommen, ist erstaunlich, dass wir es wenig nutzen, ein paar Sätze Arabisch oder Türkisch zu können, eine Begrüßung auf Ukrainisch etwa, sich in die Sprache des anderen hineinzufinden.
Sprache erlaubt es, dem anderen ein ganz klein wenig näher und ähnlicher zu werden. Es ist eine wunderbare Überraschung für zwei Menschen, einander in der eigenen Sprache zu hören. Die christliche Tradition feiert diese liebevolle Überraschung am Pfingstfest– mit diesem Fest feiert sie den Geburtstag der Kirche. Das kann auch jeden Tag geschehen… Gott, der du uns geschaffen hast mit Stärken und Schwächen, segne die Ruhe der Nacht! Die Kühnheit deines Geistes wandle unser Sprechen mit vielen, die unter den Dächern dieser Stadt leben.
Radiobeiträge
Abendsegen | Sonnabend, 11. Januar 2025
In der französischen Revolution waren die Begriffe „Freiheit“ und „Gleichheit“ unumstritten; „liberte“ und egalite“; sie sollten den Umsturz klar benennen. Dagegen war die „Brüderlichkeit“, „die fratenite“, umstritten, sie lässt sich schwer in „Gesetze“ fassen. Der linke Flügel der Revolution trug sie vor, der rechte bestand auf „propriete“, dem Recht auf Besitz.- Dazu eine Erzählung vom Amsterdamer Kollegen Huub Oosterhuis: „Ein Mann hatte zwei Söhne. Als er starb, bekamen beide die Hälfte des Landes. Ein Sohn war reich und hatte keine Kinder, der andere hatte 7 Kinder und war arm. In der Nacht konnte der reiche Sohn nicht schlafen; ‚Mein Vater hat sich geirrt, dachte er. Mein Bruder ist arm und hat kein Land für so viele Kinder. Und er stand auf, rechtzeitig die Grenzpfähle zu versetzen… Auch der arme Sohn lag wach und dachte: Mein Vater hat sich geirrt; ich habe sieben Kinder, mein Bruder aber ist einsam – und er stand auf, um noch vor dem Morgengrauen die Grenzpfähle zu versetzen. Als der Tag anbrach, begegneten sie einander. Ich sage euch, an dieser Stelle wird die Stadt des Friedens entstehen. Gott, der uns alle geschaffen hat, lasse Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit leben zwischen denen, die sich gut kennen und denen, die sich zu gut kennen. Lass uns Geschwister werden, was hat die Gesellschaft nötiger?
Quelle: Huub Oosterhuis, Du bist der Atem und die Glut, Herder, Freiburg 1995 (4)
Abendsegen | Freitag, 10. Januar 2025
Es ist Schabbatabend geworden, in den Synagogen wird darauf geachtet, dass niemand allein nach Hause geht; es wird eingeladen, in den Familien den Abend gemeinsam zu begehen. Festlich mit Gebet und Gesang, köstlich mit Getränk und gedecktem Tisch. Ich lese das Gebet zu Nacht aus dem Juden und Christen gemeinsamen Gebetbuch, dem Buch der Psalmen:
Psalm 121
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt von Gott, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels, schläft noch schlummert nicht.
Der Herr behütet dich.
Der Herr ist der Schatten über deinen rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht stickt noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte vor allem Übel, er behüte deine Seele.
Der Herr behüte deinen Eingang und Ausgang
von nun an bis in Ewigkeit.
Abendsegen | Mittwoch, 8. Januar 2025
„Liebe Patientinnen und Patienten,“ steht mit schwungvoll-freundlicher Schrift auf einer kleinen Tafel in der Praxis für Physiotherapie, die ich zum Wohle von Leib und Seele regelmäßig aufsuche – Ihnen vielleicht nicht ganz fremd? „Liebe Patientinnen und Patienten, wir möchten Sie herzlich darum bitten, bei Erkältungssymptomen zu Hause zu bleiben! Ihre Gesundheit und die unserer Mitarbeiterinnen liegt uns sehr am Herzen. Indem Sie sich auskurieren, tragen Sie nichr nur zu Ihrer eigenen Gesundheit bei, sondern schützen auch andere. Wir freuen uns darauf, Sie gesund wiederzusehen. Vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Rücksichtnahme!“
Die kleine Ansprache im Geist der Gegenseitigkeit, der Wahrnehmung des Gegenübers ist ein Signal des Gemeinsinns: „Ich schütze dich vor mir Du schützt mich vor Dir“ – das nennen wir Gemeinsinn. Wir brauchen kein Feindbild, wir brauchen einen starken Sinn für das, was Menschen verbindet und zusammenhält. Gemeinsinn – er wird unentbehrlich.
Unser Vater und unsere Mutter in den Himmeln, segne unser aller Schlaf und lasse uns morgen vom Gemeinsinn etwas ahnen, spüren und erfahren.
Abendsegen | Dienstag, 7. Januar 2025
Ein alter Mann mit einem wundervollen Strauß frischer Blumen sitzt einer jungen Frau im Bus gegenüber. Sie kann ihren Blick von der ersten Blumenpracht nach dem dunklen Winter nicht lassen. Kurz vor der nächsten Haltestelle erhebt sich der alte Mann, verbeugt sich leicht und sagt: „Er ist eigentlich für meine Frau, aber sie hätte es gern, wenn Sie ihn bekommen. Ich werde ihr erzählen, dass ich die Blumen Ihnen geschenkt habe..“ Verlegen und glücklich nimmt die junge Frau den Strauß in beide Hände. Als der alte Herr aussteigt, steht auch sie auf, um ihm nachzusehen. Er geht auf ein Tor zu, das auf einen kleinen Friedhof führt… Gott, der die Menschen und die Blumen erschaffen hat, schenke Ihnen einen stärkenden Schlaf und überrasche Sie morgen mit einem wohltuenden Gegenüber im Bus…
Abendsegen | Montag, 6. Januar 2025
Mit diesem Montag fing für viele Menschen Arbeit, Schule und das neue Jahr so richtig wieder an – mit allen Sorgen und Bangen, was es wohl bringen wird. Wachsende wirtschaftliche Nöte werden dazugehören und Gedanken, wie wir wohl in enger Gemeinschaft wie aber auch weltweit helfen können. Die Bibel sagt: „Brich dem Hungrigen dein Brot!“ Da ist der Schritt von der Bibel zu Bertolt Brecht nicht weit. Er sagt es so:
„Höchstes Glück ist doch zu spenden
Denen, die es schlechter haben.
…
Schöner ist doch keine Rose
Als das Antlitz der Beschenkten
Wenn gefüllet sich, o große
Freude, seine Hände senkten.
Nichts macht doch so glücklich heiter
Als zu helfen allen, allen!
Geb, was ich hab, nicht weiter
Kann es mir doch nicht gefallen!
Gottes Segen gewähre Ihnen eine ruhige Nacht und stärke Herz und Hände für eine segensreiche Woche!
Quelle: Bertolt Brecht, Lied des Darmwäschers, in: Werke, Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 14, Gedichte 4, Suhrkamp, Frankfurt a.M.,1993
Abendsegen | Sonntag, 14. Juli
Der alttestamentliche König Salomon lebt im Gedächtnis der biblisch geprägten Welt als der weise König. Ein salomonisches Urteil fällen heißt, ein weises Urteil fällen.
Das konnte auch Salomo nicht sofort mit Beginn seiner Regierung; er war sehr jung und überfordert mit seiner Rolle. Also steigt er für eine Zeit aus dem Alltag aus, unterbricht seine Amtsgeschäfte, zieht sich richtiggehend zurück. Er bittet Gott, nein, nicht um Macht und Reichtum – er bittet Gott um ein hörendes, ein verstehendes Herz. Das Herz ist in der Bibel der Ort des Verstehens, des Urteils, des Intellekts, vor allem der Erinnerung. Die betonte Unterbrechung seines Regierens tut ihm gut; er gewinnt eine Perspektive für sein Leben. Ich weiß, niemand lässt sich gern unterbrechen. Dass der Mann aus Samaria, der Samariter, sich unterbrechen ließ von dem halbtot am Straßenrand Liegenden, hat ihn zum Vorbild der Barmherzigkeit werden lassen bis auf den heutigen Tag. Ein kluger Mensch hat gesagt: „Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion.“ Religion unterbricht den Alltag, das normale Einerlei.
Die schönste Unterbrechung des Alltags ist der…..Sonntag! Eine Gelegenheit, über das Wozu des Lebens und über das, was ihm fehlt, nachzudenken. Gut, gut – der nächste Sonntag kommt in sieben Tagen…
Gott, wandle in Segen, was war und was kommen wird.
Abendsegen | Sonnabend, 13. Juli
Der Berliner Pfarrer und Lehrer der Theologie Friedrich-Wilhelm Marquardt hat nach schweren Erkrankungen ein Wort zum Abend aufgeschrieben:
„Mit jedem Abend eines Tages erinnerst du, Gott, uns an den Abend des Lebens und das Ende aller Dinge. So ist er die Zeit, für den Tag zu danken und uns für den Weg zu befehlen. Unser Leben danken wir dir; dir danken wir Eltern und Geschwister, die nächsten Geliebten, Genossen und Menschen. Mit ihrer Hilfe sind wir, was wir sind.
Dir danken wir von Herzen, Dir danken wir das Ja zum Leben, auch zu seinem Ende. Dir danken wir Leib, Seele und Geist – unverdientes Überleben, Lebensfreude, Widerstandskräfte gegen, Zwänge und Ängste. Aber auch Phantasie, das Leben zu meistern, allein du aber bist unser Meister. Du bleibst, der du bist – unsere Freude und Dankbarkeit gelten Dir, unser Schöpfer und Versöhner und Befreier. Diese Hoffnung ist unsere Gewissheit auch auf unserem Weg in die Nacht.“
Wir sprechen dieses Gebet des erkrankten Freundes Friedrich-Wilhelm Marquardt und denken an alle, die in dieser vergangenen Woche eine Diagnose bekommen haben, die ihnen Angst macht. Unser Vater in den Himmeln, sei behutsam mit ihnen; segne, behüte, bewahre und tröste uns alle.
Quelle: Von Frau Dorothee Marquardt übermittelt
Abendsegen | Freitag, 12. Juli
Der Schabbat, der jüdische Ruhetag, hat begonnen, der Sonntag, der christliche Sonntag, steht bevor. Ein großes Thema des Schabbats ist die Erinnerung an die Schöpfung und segensreiche Ruhe. Mit der erzählten Vertreibung aus dem paradiesischen Garten kommen Arbeit und Unruhe. Im himmlischen Garten wird zwischen dem Schöpfer, der Schlange, Eva und Adam einiges Entscheidendes beredet. Eva ist sehr sprachgewandt im Umgang mit der Schlange, während sie an Adam kein einziges Wort richtet. was gerne übersehen wird!
Aber der Schöpfer fragt „Adam, wo bist du?“ „Was?“ rief ein einmal ein kluger Rabbi, „Gott wusste nicht, wo Adam sich aufhielt?“ „Nein“, sagte ein anderer, „Gott wusste es, Adam wusste es nicht! Adam, zu Deutsch, der Mensch, muss immer danach trachten, seinen Ort, seine Rolle, seine Stellung in der Gesellschaft zu kennen und zu bestimmen: “ Wo stehe ich im Hinblick auf Gott und die Nächsten? Genauer: Auf wessen Seite, in wessen Nähe stehe ich? Jede Wahl stellt diese Frage: „Adam, Mensch, wo stehst du, wo bist du?“ Es ist die erste Frage Gottes an uns…
Die Nacht kommt, Du, Gott, hast sie uns gegeben, in Stille und Schlaf Kraft zu finden. Kommen Gedanken, hilf uns, sie zu klären und unseren Ort zu finden.
Abendsegen | Donnerstag, 11. Juli
„Das Wochenende droht“, sagte liebevoll der Hausarzt und gab mir seine private Telefonnummer. Aber es verlief gut und auf der Suche nach Lektüre für die Lage fand ich ein Gebet meiner Kollegin Jacqueline Keune aus dem schweizerischen Luzern:
„Lass mich glauben, mein Gott,
dass ganz am Ende nicht der Schmerz steht,
sondern du.
Lass mich erkennen, mein Gott,
dass da Wege sind aus dem Schmerz
und dass Kraft ist – auch in mir – aufzustehen.
Lass mich glauben, mein Gott,
dass ganz am Ende nicht der Schmerz steht,
sondern du.“
Gott, bleibe mit deinem Segen bei uns in dieser Nacht, bei allen, deren Vernunft und Mut versiegt sind, bei denen, denen alles schmerzt, bei die, die mit sich fertig sind, schütze uns, stärke uns, lass uns froh gemut erwachen!
Quellen: Jacqueline Keune, Pfarrerblatt des Kantons Zug (CH), Nr.14, April 2007
Cornelia Egg-Möwes, Abendsegen, Neukirchener Verlag, 2023, 128, 142