Abendsegen | Sonntag, 14. Juli

Der alttestamentliche König Salomon lebt im Gedächtnis der biblisch geprägten Welt als der weise König. Ein salomonisches Urteil fällen heißt, ein weises Urteil fällen.

Das konnte auch Salomo nicht sofort mit Beginn seiner Regierung; er war sehr jung und überfordert mit seiner Rolle. Also steigt er für eine Zeit aus dem Alltag aus, unterbricht seine Amtsgeschäfte, zieht sich richtiggehend zurück. Er bittet Gott, nein, nicht um Macht und Reichtum – er bittet Gott um ein hörendes, ein verstehendes Herz. Das Herz ist in der Bibel der Ort des Verstehens, des Urteils, des Intellekts, vor allem der Erinnerung. Die betonte Unterbrechung seines Regierens tut ihm gut; er gewinnt eine Perspektive für sein Leben. Ich weiß, niemand lässt sich gern unterbrechen. Dass der Mann aus Samaria, der Samariter, sich unterbrechen ließ von dem halbtot am Straßenrand Liegenden, hat ihn zum Vorbild der Barmherzigkeit werden lassen bis auf den heutigen Tag. Ein kluger Mensch hat gesagt: „Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion.“ Religion unterbricht den Alltag, das normale Einerlei.

Die schönste Unterbrechung des Alltags ist der…..Sonntag! Eine Gelegenheit, über das Wozu des Lebens und über das, was ihm fehlt, nachzudenken. Gut, gut – der nächste Sonntag kommt in sieben Tagen…

Gott, wandle in Segen, was war und was kommen wird.

Abendsegen | Sonnabend, 13. Juli

Der Berliner Pfarrer und Lehrer der Theologie Friedrich-Wilhelm Marquardt hat nach schweren Erkrankungen ein Wort zum Abend aufgeschrieben:

„Mit jedem Abend eines Tages erinnerst du, Gott, uns an den Abend des Lebens und das Ende aller Dinge. So ist er die Zeit, für den Tag zu danken und uns für den Weg zu befehlen. Unser Leben danken wir dir; dir danken wir Eltern und Geschwister, die nächsten Geliebten, Genossen und Menschen. Mit ihrer Hilfe sind wir, was wir sind.
Dir danken wir von Herzen, Dir danken wir das Ja zum Leben, auch zu seinem Ende. Dir danken wir Leib, Seele und Geist – unverdientes Überleben, Lebensfreude, Widerstandskräfte gegen, Zwänge und Ängste. Aber auch Phantasie, das Leben zu meistern, allein du aber bist unser Meister. Du bleibst, der du bist – unsere Freude und Dankbarkeit gelten Dir, unser Schöpfer und Versöhner und Befreier. Diese Hoffnung ist unsere Gewissheit auch auf unserem Weg in die Nacht.“

Wir sprechen dieses Gebet des erkrankten Freundes Friedrich-Wilhelm Marquardt und denken an alle, die in dieser vergangenen Woche eine Diagnose bekommen haben, die ihnen Angst macht. Unser Vater in den Himmeln, sei behutsam mit ihnen; segne, behüte, bewahre und tröste uns alle.

Quelle: Von Frau Dorothee Marquardt übermittelt

Abendsegen | Freitag, 12. Juli

Der Schabbat, der jüdische Ruhetag, hat begonnen, der Sonntag, der christliche Sonntag, steht bevor. Ein großes Thema des Schabbats ist die Erinnerung an die Schöpfung und segensreiche Ruhe. Mit der erzählten Vertreibung aus dem paradiesischen Garten kommen Arbeit und Unruhe. Im himmlischen Garten wird zwischen dem Schöpfer, der Schlange, Eva und Adam einiges Entscheidendes beredet. Eva ist sehr sprachgewandt im Umgang mit der Schlange, während sie an Adam kein einziges Wort richtet. was gerne übersehen wird!

Aber der Schöpfer fragt „Adam, wo bist du?“ „Was?“ rief ein einmal ein kluger Rabbi, „Gott wusste nicht, wo Adam sich aufhielt?“ „Nein“, sagte ein anderer, „Gott wusste es, Adam wusste es nicht! Adam, zu Deutsch, der Mensch, muss immer danach trachten, seinen Ort, seine Rolle, seine Stellung in der Gesellschaft zu kennen und zu bestimmen: “ Wo stehe ich im Hinblick auf Gott und die Nächsten? Genauer: Auf wessen Seite, in wessen Nähe stehe ich? Jede Wahl stellt diese Frage: „Adam, Mensch, wo stehst du, wo bist du?“ Es ist die erste Frage Gottes an uns…

Die Nacht kommt, Du, Gott, hast sie uns gegeben, in Stille und Schlaf Kraft zu finden. Kommen Gedanken, hilf uns, sie zu klären und unseren Ort zu finden.

Abendsegen | Donnerstag, 11. Juli

„Das Wochenende droht“, sagte liebevoll der Hausarzt und gab mir seine private Telefonnummer. Aber es verlief gut und auf der Suche nach Lektüre für die Lage fand ich ein Gebet meiner Kollegin Jacqueline Keune aus dem schweizerischen Luzern:

„Lass mich glauben, mein Gott,
dass ganz am Ende nicht der Schmerz steht,
sondern du.

Lass mich erkennen, mein Gott,
dass da Wege sind aus dem Schmerz
und dass Kraft ist – auch in mir – aufzustehen.

Lass mich glauben, mein Gott,
dass ganz am Ende nicht der Schmerz steht,
sondern du.“

Gott, bleibe mit deinem Segen bei uns in dieser Nacht, bei allen, deren Vernunft und Mut versiegt sind, bei denen, denen alles schmerzt, bei die, die mit sich fertig sind, schütze uns, stärke uns, lass uns froh gemut erwachen!

Quellen: Jacqueline Keune, Pfarrerblatt des Kantons Zug (CH), Nr.14, April 2007

Cornelia Egg-Möwes, Abendsegen, Neukirchener Verlag, 2023, 128, 142

Abendsegen | Mittwoch, 10. Juli

Ihr müder Blick bleibt an dem Baum hängen, dessen Zweige und Äste sie von ihrem Krankenzimmer aus an der Hauswand gegenüber sehen kann. Es ist bereits spät im Jahr, und die meisten Blätter sind gefallen. „Mit dem letzten Blatt“, sagt sich die Todkranke, „mit dem Fall des letzten Blattes werde ich sterben.“

Von Morgen an beobachtet sie den Baum. Nur noch wenige Blätter tanzten an den Zweigen, bevor sie abstürzten…schließlich hing nur ein einziges Blatt am Baum. Das letzte. In dieser Nacht zog ein schwerer Sturm über die Stadt und riss alles mit sich. Als es dämmerte, ahnte die Frau, dass ihr letzter Tag gekommen war. Doch welch ein Wunder. Das eine Blatt hatte dem Sturm getrotzt. Da durchströmte die Todkranke eine Welle der Hoffnung. Neue Kraft wuchs ihr spürbar zu. Wenn das Blatt es geschafft hatte, dem schweren Sturm zu widerstehen, dann konnte sie auch ihre Krankheit bezwingen. 

Erst als sie wieder gesund geworden war, erfuhr sie, dass in jener stürmischen Nacht ihr Mann ein Blatt an die Wand des Hauses gegenüber gemalt hatte; das erste Blatt für ein neues Leben…

Eine Geschichte des amerikanischen Erzählers O. Henry. Unser Vater, segne alle in Kliniken, Pflegeheimen und Krankenzimmern mit Trotzkraft, stärkendem Schlaf und blättermalenden Mit-Menschen. Quelle: O. Henry, Das letzte Blatt, in: B. Becker, Hans Möhler (Hg.). Abendfibel müder Seelen, Luther Verlag, 2019, 108f (gekürzt)

Abendsegen | Dienstag, 9. Juli

Betrat ich früher eine Telefonzelle, wurde ich mit dem Schildchen begrüßt: „Fasse dich kurz!“ Heute ist das nicht mehr so: „Wollen Sie dies und das, wählen Sie bitte die 1, wollen Sie aber das und dies, wählen Sie bitte die 2!“  „Sie sind auf der Anrufliste Nr. 14…“ Leider fehlt dann der gute Rat: „Wollen Sie nach alle dem gar nichts mehr, legen Sie bitte auf!“ Es gibt auch verstörende Versprechen: „Sobald die nächste Mitarbeiterin frei wird…“ Das nennt man wohl speed dating?

Aber es gibt auch richtig Erfreuliches, was wirklich gut tut im Gegensatz zu den trostlosen Vertröstungen der Arztpraxen – da hört man wie vom Himmel gleich, beruhigend: „Ihre Verbindung wird gehalten!“ – beruhigend, liebenswürdig, therapeutisch stärkend. Ja geradezu seelsorgerlich: „Ihre Verbindung wird gehalten“ – was immer Sie befürchten, was Sie beunruhigt, quält, schmerzt: „Ihre Verbindung wird gehalten!“ Ist es der geliebte Mensch, sind es die umsorgten Kinder, betrifft es die lebenswichtigen Freundschaften, wo überall Zerrissenheit droht, Brüche und Trennungen: „Ihre Verbindung wird gehalten!“. Wun-der-bar, nur eine Telefonauskunft, und doch das Versprechen, das stärkender nicht erhofft werden kann! Ein Goldkorn im Alltag, wie ein Bernstein im Ostseesand.

Möge unser Vater im Himmel Sie geleiten durch die Nacht; er schenke Halt in allen Verbindungen!

Abendsegen | Montag, 8. Juli

Zur Vorbereitung einer Trauerfeier war ich zum Tee bei einer Hinterbliebenen eingeladen. Auf dem Tisch, an dem wir Platz nahmen, lagen zwei Gedecke mit Tassen, kleinen Tellern und Stoffservietten. In der Mitte ein weiterer kleiner Teller mit drei Sorten Biskuits. Von jeder der drei Sorten genau zwei akkurat nebeneinander. Ich schaute dies Arrangement an und wusste augenblicklich, wie viele Kekse ich essen durfte.
Es gibt eine Enge in den vielen, kleinen Gedecken, in den vielen, kleinen Wünschen, der viel zu kleinen Tische, Teller und Stoffservietten. Nicht, dass mit ihnen kein Leben zu führen möglich wäre, aber manchmal doch ein wenig eng…
Und es gibt einen Gott, der weit und breit auf keine Etikette schaut und verschwenderisch uns alles Mögliche anbietet – oft auch ohne Servietten. Das erzählte Leben der gestorbenen Freundin erwies sich übrigens als vielfältig, lebhaft und voller Überraschungen, ein einziger Grund zum Danken. Ich hoffe, ich wurde ihm gerecht…

Gott, der Himmel und Erde, Sonne, Mond und alle Sterne geschaffen hat samt uns mit unseren befristeten Zeit, möge seine Segen für uns verschwenden, einen erholsamen Schlaf schenken und ab und an ausgiebig Biskuits…

Abendsegen | 30. Juni 2024

Eine neue Woche steht bevor, hoffentlich mal raus aus dem immer gleichen Einerlei. Selbst Kirchengemeinden mühen sich um Events – pulsierend, attraktiv, voller Kicks. Vom Heiland zum Highlight – das wär’s! Fantasie wir gebraucht, auch in unseren Geschichten. Eine erzählt der frühere Erzbischof im Nordosten Brasiliens, Dom Helder Camara, bei einem Berlin-Besuch: „Im übervollen Omnibus zog ein Kind alle Aufmerksamkeit auf sich, weil es mit größter Vorsicht und Behutsamkeit langes Stück Holz, etwas wie einen Stock, leicht erhöht in der Hand trug, ihn schützte und bewahrte. Bei einem Halt fragte der Fahrer, warum das Stück Holz so große Sorgfalt verdiene. Das Kind erklärte: „Ich führe eine kleine Ameise, meine liebste Freundin, spazieren. Das ist ihre erste Busfahrt.“

Gott segne uns und entzünde in uns täglich neue Phantasie und Lebenslust. Er behüte, was weitertragen. Er begleite unsere Schritte morgen und alle Tage dieser Woche.

Quelle: Cornelia Egg-Möwes, Abendsegen, Gesegnet schläft sich’s besser,Neukirchener Verlag 2024

Abendsegen | Sonnabend, 29. Juni

Morgen ist Sonntag, Ob Großstadt, ob Brandenburger Land – Dorfkirchenglocken läuten schon früh. „Dorfkirche im Sommer“ , eine Erinnerung von Detlev von Liliencron, hat etwas Verführerisches:

„Schläfrig sind der Küster vor,                            Amen, Segen. Türen weit

schläfrig singt auch die Gemeinde.                     Orgelton und letzter Psalter.

Auf der Kanzel der Pastor                                   Durch die Sommerherrlichkeit

betet still für seine Feinde.                                  Schwirren Schwalben, flattern Falter

Dann die Predigt wunderbar,

eine Predigt, ohnegleichen.

Die Baronin weint sogar

im Gestühl, dem wappenreichen.

Gott segne die Stunden Ihres Sommers, er schenke Ihnen erholsame Abende.

Lebhafte Gespräche, einen stärkenden Schlaf und eine behütete Nacht!

Quelle:   Detlev von Liliencron, Adjutantenritte, Edition Holzinger, Berlin 2013

Abendsegen | Freitag, 28. Juni

Nun hat für die jüdische Gemeinde der Schabbat begonnen. Schabbat – das heißt:

Nicht allein das Tun, sondern das Lassen ist von Bedeutung. Den Computer herunterfahren, das Smartphone in der Schublade verschließen, Das Förderband anhalten, viele Hebel umlegen, die Kasse abschließen, die Bibliothek verlassen, die Garagentür zumachen, den Patienten alles Gute wünschen und die Praxis schließen, Fernsehstecker herausziehen, Handy ausschalten, drei Kissen aufs Telefon und – die Ruhe wahrnehmen, das Lassen wieder lernen. Ans Fenster gehen, zu den Bäumen schauen, mit einem Auge voll Grün, einem Ohr voll Drossellärm, einer Nase voll Gras und eine Seele voll Juniabendluft und nachbarlichen Grilldünsten…
Nein, aus mit nordic walking, dafür südlich schlendern, aus mit chatten und chillen, dafür reden und ruhen, Bike in den Keller und Riesling aus dem Keller – eine Ahnung von Ewigkeit, mal ernten, ohne zu säen, die großen Zeitungen aufschlagen, dem Nachbarn zuwinken und die Ruhe genießen und jetzt die Pistazien, geröstet und gesalzen…welch ein Segen…

Für deinen Segen, der uns nachts über birgt und uns morgen wieder freundlich umgibt, sei dir, Gott, Dank!