Abendsegen | Sonntag, 15.08.2010

Rabbi Jehuda wurde einmal gefragt, wie es denn käme, dass er so gut schlafen könne. „Wie das zugeht, dass ich sogleich einschlafe? Es geht so, dass ich mich hergebe. Wie in mütterliche Arme gebe ich mich her. All mein Widerstand fällt im Nu ab, und ich lasse mich los.

Ich lese den biblischen Psalm 121 – das Gebet zur Nacht:

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt von Gott,
der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels
schläft noch schlummert nicht.
Der Herr behütet dich;

Der Herr ist dein Schatten
über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
Der Herr behüte
Deinen Ausgang und Eingang
Von nun an bis in Ewigkeit!

Abendsegen | Sonnabend, 14. August 2010

Ein Mädchen aus der Stadt Radom fuhr zum ersten Mal nach Warschau in den Tiergarten. „Was hat dir besonders gefallen?“, fragte die Mutter, als es wieder daheim saß und Tee mit Milch trank. Das Mädchen wusste nicht so recht…Die Mutter half nach: „Der weiße Eisbär mit den behaarten Sohlen, dass er auf dem Eis nicht ausrutscht? Der Elefant? Das Känguruh mit dem Beutel am Bauch?“ „Die habe ich gesehen“, sagte das Mädchen, doch am meisten gefiel mir ein grauer Spatz mit einem weißen Flecken hinter dem Auge, der im Zoo auf dem Weg herumhüpfte.“

Pater Jan Twardowski, der ein Leben lang Kindergottesdienst in Warschau hielt, erzählt diese Begebenheit und er fährt fort: Jesus „sprach nicht nur vom Tempel, der hoch über Jerusalem aufragt, sondern auch von einer Mutter, die den Teig rührt, einen Holzlöffel in der Hand. Was wäre, möchte einer zum Himmel stürmen, doch daheim legt er die Schere nicht an den Platz, wo sie hingehört?“

Der Segen Gottes (…..) möge ihre Nacht beschützen, einfach, wie ein Schatten spendender Baum, auf dass ihr Herz ruhig schlägt.

Abendsegen | Freitag, 13. August 2010

Der 13. August 1961 – ein schlimmes Datum unserer Geschichte, aber ein Datum, kein Fatum, kein Schicksal. Deshalb lese ich ein Wort von Dietrich Bonhoeffer, das er 1944 aus dem Tegeler Gefängnis schrieb:

Ich beobachte hier immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können. Wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst; wenn es etwas Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier; wenn ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens…vorbei“

Die rohe und hässliche Mauer durch Berlin war ein roher und hässlicher Anschlag auf das gemeinsame Leben, der Terror als Bauwerk. Und doch gab es Menschen, die nicht in Schockstarre unbeweglich blieben, hoffende Menschen, einfallsreich, listig, pfiffig, ungebrochen, bis die Mauer tatsächlich hinfiel. Sie waren erschrocken und unerschrocken, sie waren bekümmert und unbekümmert. Trotzig sahen das Wirkliche und das Mögliche. Sie lebten das entscheidende „und“. „Und“ – das ist Trotzenergie.

Der Gott über alle Götter, schenke ihnen seine Segen und seine Kraft in dieser Nacht; er sei mit seiner Gnade bei Ihnen, wenn Sie schlafen und lasse sie guten Mutes wieder aufstehen.(….)

Abendsegen | Donnerstag, 12. August 2010

Können Sie auch keinen Schlüssel wegwerfen? Noch beim kleinsten hoffen wir, einmal werde er ein wichtiges Schloss öffnen. Kein Haus, keine Wohnung, kein Schuppen ohne Schlüssel! Da hat sie der Dichter Michael Krüger gefunden, die Zeugen von Häusern und Menschen.

Beim Aufräumen des Schuppens
fand ich ein Kästchen alter Schlüssel…
jeder träumte von einer anderen Tür
in einem anderen Jahrhundert…
Einer passte in ein liebesmüdes Herz.
Sie konnten Bismarck gekannt haben
oder Fontane oder ein Fräulein
in einem Roman, der nicht gut ausging.
Da sie kein Schloss mehr nehmen wollte,
legte ich sie vorsichtig zurück…

Wem haben sie gedient? Wem geben wir die Schlüssel während unserer Abwesenheit? Und: wer hat die Schlüssel zu uns, macht aus uns aufgeschlossene Menschen? In wessen Leben spielen wir eine Schlüsselrolle? Für einander aufgeschlossene Menschen werden – welch ein Traum…

Möge der Segen Gottes uns den weiten ruhigen Raum der Nacht erschließen; und wer verschlossen in seinem Schmerz Ruhe sucht, möge sich öffnen zu Tränen und Trost! (……)

Abendsegen | Mittwoch, 11. August 2010

Neid ist ein Gefühl, das jeder kennt. Wie bricht es durch? Da gibt es Unterschiede, wie folgender Witz klar macht:
Geht ein Amerikaner mit seinem Freund die Straße entlang, kommt ein großer Cadillac vorbei. Sagt der Amerikaner zu seinem Freund: „So einen Wagen fahre ich auch noch mal!“ Geht ein Deutscher mit seinem Freund die Straße entlang, kommt ein großer BMW vorbei. Sagt der Deutsche zu seinem Freund: „Der Typ geht auch noch mal zu Fuß!“

Wenn wir Nöte mit dem Neid haben – ein schrecklicher Schmerz, der einen manchmal nicht schlafen lässt – dann empfiehlt der Psychologe Heiko Ernst: „Count your blessings!“ Zähl deine Segnungen! Mach dir bewusst, womit du begabt bist, worin du Glück hast, wer dich gelobt hat! Was dir alles gelungen ist! Zähl alles auf – count your blessings! Der Teufel wird dich nicht länger reiten! Und dein Tag geht gut zu Ende…

Der Friede Gottes erfülle und beschütze uns. Gott segne und behüte uns. (…) In Weinen und Lachen, in Freude und Schmerz segne uns Gott.

Abendsegen | Dienstag, 10. August 2010

Von einer ebenso irritierenden wie amüsanten Begegnung erzählte jüngst eine Kollegin:

Als mein Mann in einem Restaurant ein Essen bestellen wollte, hat ihm doch der junge Kellner, dieser Schnösel, ein Seniorengedeck empfohlen! Das saß! Bei der ausgiebigen seelsorgerlichen Aufarbeitung dieses einschneidenden Ereignisses ist uns beiden bewusst geworden: Es hilft nichts, dass wir uns selbst noch gar nicht so alt fühlen. Für andere, zumal für junge Leute, gehören wir längst zu denen, die man – vornehm ausgedrückt – die ältere Generation nennt. Aber warum haben wir daran so zu knapsen?“

Sie hat dann über den „Mut zum Altwerden“ gesprochen… dennoch: Melancholie durchzog unser Gespräch, Nachdenken über die Verlangsamung, die empfundenen Abstände zu Jüngeren, das gekränkte Erstaunen, dass der Erfahrungsschatz nicht gefragt ist. Aber die Beständigkeit der Gefühle von Liebe und Zuneigung, die hat die Zeit nicht abgenutzt!

Gottes Segen stärke alle, denen man bedeutet, sie seien ja auch noch da… Er hat versprochen: Ich will euch tragen, bis ihr grau werdet! Nun trage uns dein Segen durch die Nacht zum Tag!
(….)

Abendsegen | Montag, 09.08.2010

Der erste Arbeitstag der neuen Woche geht zu Ende. Was wurde aus Vorhaben und Zielen?
Da gab es Widerstände? Da stellte sich jemand quer? Wie damit umgehen? Dazu eine Geschichte:

Ein Mann beschloss einen Garten anzulegen. Er bereitete den Boden vor, streute Samen wunderschöner Blumen. Mit der Saat wuchs auch der Löwenzahn…Der Mann versuchte viele Methoden, den Löwenzahn los zu werden – der Löwenzahn wuchs mit. Der Mann reiste zum Hofgärtner in die Hauptstadt und bat um einen Rat. Von allem, was der alte Gärtner riet, stellte sich heraus: Schon erprobt! Der Löwenzahn wuchs mit. So saßen die beiden lange im Park, bis der Gärtner den Ratlosen ansah und sagte: „Wenn das alles nichts genützt hat, dann gibt es nur einen Ausweg: Lerne, den Löwenzahn zu lieben!

Gottes Segen komme zu allen, die damit schwer zu tun haben, was ihnen in die Quere kommt! Er gebe allen Kraft, damit zu leben! Dass es uns nicht den Schlaf raubt! Sein Segen bewirke, dass wir uns nicht von schlechten Erfahrungen, sondern von guten Erwartungen leiten lassen.

Abendsegen | Sonntag, 01.08.2010

Heute feiert die Schweiz ihren Gründungstag; Anfang August 1291 schlossen drei Kantone einen Bund. Wilhelm Tell und das Bankgeheimnis sind nicht unser Thema, sondern das Lied der Luzerner Pfarrerin Jacqueline Keune:

„Gelobt seist du, Gott, für die Schönheit unserer Städte,
für den Park, der uns durchatmen und spielen lässt.
Gelobt seist du für den Mann, der nach dem alten Nachbarn fragt,
für die Bäckerin, die das Übriggebliebene abends verteilt,
für die Familie, die das fremde Kind einen Tag der Woche dazugehören lässt
Dass die, die fremd sind, dazugehörig werden;
Die, die alt sind, Rücksicht,
und die, die jung sind, Nachsicht erfahren!
Dass sie ertragbar bleiben: der Lärm, die Hast unserer Städte,
und dass das, was sie stiller und schöner macht, bestärkt werde.“

Der Segen Gottes sei an diesem Abend mit Freunden und mit Fremden, er lasse die Türen unserer Herzen angelehnt sein für die Fernen und gut Bekannten! Die Nacht sei die Decke seines Friedens für uns alle.

Abendsegen | Sonnabend, 31.07.2010

„Ein Wort gab das andere“, das sagen wir im Nachhinein von wichtigen Gesprächen, von Wortwechseln. Die eigene Kraft des Wortes meldet sich: „Ein Wort gab das andere“. Die Dichterin Marie Luise Kaschnitz gibt uns ihr ermutigendes Wort und vielleicht gibt dies eine Wort ein anderes…

„Ich finde, dass ziemlich viel Mut in der Welt ist,
wenn man die Tage bedenkt, an denen es gar nicht hell wird
Wenn man bedenkt, dass es gar niemanden gibt, der nicht seine Sorgen hätte.
Und dennoch habe ich heute gesehen,
wie einer die Buche pflanzte, den dürren Stecken.
Ich sah mein Gesicht im Spiegel, als ich fort ging dir zu begegnen.
Wie war es voll Freude.

Gott gebe mit seinem Segen viel Mut in diese Welt. Er segne die Frau, die den Bus lenkt, den alten Mann vor dem neuen Automaten, den Alkoholkranken, der im Hausflur liegt und alle Mitarbeiter in der Notschlafstelle (…..) – er mache aus seinem Segen einen Mantel der Freundlichkeit für uns alle.