Worte für den Tag | Sonnabend, 10. Juli 2021

Überall sind die Menschen jetzt wieder unterwegs, es ist Urlaubszeit, Ferien. Der lateinische Name feriae bezeichnete im alten Rom die registrierten Feiertage, an denen Arbeit und Rechtspflege ruhten. In der Wurzel des Wortes steckt auch unser Wort „Fest“. Ferien wären demnach Festtage der Arbeitsruhe und der Gottesverehrung. Die Arbeitsruhe hat sich durchgesetzt, der religiöse Sinn hat sich zum Fest zur großen Ausreise gewandelt. Doch halt, zu keinem Zeitpunkt des Jahres werden so viele Kirchen, wenn schon nicht zum Gottesdienst besucht, so doch zumindest besichtigt.

Ferien – verregnete Campingplätze, gestohlene Geldbörsen, streikende Piloten, dauerpausierende Lokführer, Sonnenbrände, Abschleppdienste, warme Sprudel – was soll das schon? Ferien!
Zum schönsten in den Ferien gehört ein kühler Trunk am Abend. Den gibt’s auch sonst, aber in einem slowenischen Weingewölbe, einem elsässischen Landgasthaus, auf einem umbrischen Bauernhof, in einem schwedischen Pfarrgarten, an einem mecklenburgischen Ostseestrand – das ist ein Vorgeschmack des Himmels.
So heißt es im biblischen Buch der Sprüche: „Ein kühler Trunk für eine lechzende Seele ist wie eine gute Kunde aus fernem Land.“ Am besten aus einem irdenem Krug, zum Sammeln, Schenken, Fassen und Ausgießen bestimmt, er erquickt die Kehle und damit Seele. Die Bibel kennt nur ein Wort für Seele und Kehle…
Ein kühler Trunk – das klingt im Deutschen, als stecke in den Worten schon der Krug, man sieht förmlich die Wasser- oder Weinperlen außen herabrinnen. Eine lechzende Seele, eine schmachtende Kehle, braucht eine Rast am eiskalten Bach. „Ein kühler Trunk für eine lechzende Seele ist wie eine gute Kunde aus fernem Land.“ – Gute Kunde, klingt etwas feierlich, altmodisch, aber jeder versteht, was gemeint ist: „Die Operation ist gelungen“ oder „Wir laden dich ein“ oder „Wir fangen nochmal an.“. Bei dieser Kunde jubelt die Seele wie die Kehle über einen kühlen Trunk. Diese Worte schrieb ich bei 35 Grad neben einem kühlen Krug für meine lechzende Seele.

Worte für den Tag | Freitag, 9. Juni 2021

Es war in einer Videokonferenz. Viele müssen sich mit diesem Format notgedrungen anfreunden. Ich erfahre diese Kommunikation als mühsam. Ich starre auf Einzelbilder vor mir, höre Einzelne sprechen, vieles geht verloren, hier ein Räuspern, da die hin und her schießenden Blicke zwischen anderen, das Atemholen zu einer Antwort. Ich selbst muss viel disziplinierter sprechen, stärker moderieren – Anstrengungen, die mich rascher ermüden. Eine Kollegin sagte: „Nun überleg mal, dass Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen das jeden Tag leisten müssen. Du machst ein „Praktikum in Behinderung’“. Ich sehe Menschen mit Beeinträchtigungen jetzt anders, sie müssen ein Vielfaches mehr leisten als andere ohne Sinnesbeeinträchtigungen.

Freunde erleben das auch, verarbeiten es unterschiedlich, anders. Einer schrieb mir eine sehr humorvolle Skizze:

Kürzlich habe ich mich in einer Videoaufnahme gesehen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob da nicht ein Fehler passiert ist. Dieser Mann kam mir zwar von fern bekannt vor, eigentlich war er mir vor allem fremd. So bewege ich mich doch nicht. So rede ich auch nicht. So blicke ich nicht in die Welt. Ich kann mich aber an die Aufnahme erinnern. Wahrscheinlich bin ich das also doch.
Plötzlich bin ich erschrocken: Alle meine Freunde und Kollegen, die Familie, die meinen gar nicht mich, sondern diesen da. Die meinen denen, wenn sie über mich reden. Und die Frau, mit der ich über 50 Jahre verheiratet bin, liebt einen Fremden. Den! Dann kennt sie mich also gar nicht. Sie und die anderen wissen gar nicht, wer ich bin… Niemand von allen weiß, wie es sich anfühlt, ich zu sein. Meine Arbeitsstelle hat dann auch der andere erhalten. Wenn herauskommt, wer ich wirklich bin, werde ich womöglich entlassen. Gibt’s denn jemand, der mich wirklich kennt`?
In meiner wachsenden Not habe ich zur Bibel gegriffen, es heißt ja immer, das solle man tun. Und wirklich, da fand ich den Satz, der war schon vorher rot angestrichen:“ Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“ Wenigstens einer, der mich kennt. Und dann bin ich noch über einen Satz gestolpert von einem Yogi oder so: „Der andere bist du.“
Ich weiß nicht…

Worte für den Tag | Donnerstag, 8. Juli 2021

Meine Schweizer Kollegin Jacqueline Keune in Luzern hat einen Freund, er heißt Urs. Urs ist blind.
Einmal ist er auf dem Boulevard in Freiburg in eine Baugrube gefallen, weil die Arbeiter nicht daran gedacht haben, dass jemand das Riesenloch nicht sehen könnte. Und weiter erzählt sie, dass er einmal am Bodensee mit dem Gesicht gegen die Heckklappe eines Lasters geknallt ist, weil der Fahrer nicht überlegt hatte, dass jemand den Riesenlaster übersehen könnte und ihn halb auf dem Trottoir abgestellt hatte.
Ich erinnere mich an das halbe Blindseins, wenn ich mit Maske und Brille auf dem Wochenmarkt zwischen den Ständen herumsteuere oder an der Kasse irgendwie fast blind, wie ich empfinde, Münzen aus der Tasche fingere und 50cent nicht von 20cent unterscheiden kann. Gewiss, Bagatellen, nicht zu wähnen, und sie verschwinden ja wieder.

Aber Jacqueline Keune erinnert mich an die Szene, in der Jesus mit Freunden und Freundinnen, die seinetwegen alles verlassen haben, irgendwo in Galiläa unterwegs ist und einen Mann trifft, der am Straßenrand sitzt und seit Geburt blind ist. Die Gruppe redet über ihn, vor allem, wer schuld ist an seinem Lebenselend. Sie fragen Jesus: Sind die Eltern schuld? Er selbst? Es muss doch einen Grund geben, dass er blind ist. Wir können doch alle sehen! Jemand muss doch Schuld haben! Und meine Kollegin schreibt mir voller Empörung: „Der Darmkrebs hat meine Freundin weniger verletzt als die Mutmaßungen ihrer Nächsten, warum sie ihn bekommen hat.“ Ja, ich habe es selbst erlebt, man will diese schnelle Schuld finden. Am Ende ist die Kranke immer selbst schuld, es ist fürchterlich!

Jesus will nun Ursachen, Herkunft und Schuld nicht zum Thema machen, wie es heute oft amateur-therapeutisch quacksalbernd geschieht. Er sagt – so steht es im Evangelium des Johannes – „So lange ich in der Welt bin, werde ich für diese Welt das Licht sein.“ Und dann geschieht etwas, angesichts dessen jeder Mensch sich beim ersten Hören die Haare rauft: Jesus spuckt vehement auf die Erde, rührt mit dem Speichel eine, mein Enkel würde sagen, eine Pampe an und schmiert sie dann dem Blinden auf die Augen und – lässt ihn in die Zukunft schauen.
Jacqueline Keune aus Luzern schreibt, dick unterstrichen: „Wenn Leiden irgendeinen Sinn haben soll, dann den, dass es geheilt oder gelindert wird.“ Ihr Schlusswort heißt; „Spucke und Erde – so weit das Auge reicht.“

Worte für den Tag | Mittwoch, 7. Juli 2021

Auffallend viele Bücher erscheinen zur Zeit mit Titeln wie „Unter freiem Himmel“, „Kraftort Wald“, „Einfach raus!“, „Wieder Land sehen“, „Unsere einzigartige Erde“, „Für Natur“, es sind bebilderte Tipps zum Leben im Freien. Das ist der Pandemie geschuldet; wobei der Aufbruch etwas angestrengt klingt, Aufbruch mit Anleitung. Da klingt der Aufbruch bei Paul Gerhardt 1556 im Evangelischen Gesangbuch doch beschwingter:

„Geh aus, mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit…“ Paul Gerhardt, der große evangelische Liederdichter, schrieb vor fast 500 Jahren nach einem 30jährigen Krieg, also einer unvorstellbar tödlichen Pandemie, der damals größten menschlichen Katastrophe auf deutschem Boden.
Und: Er begann bei sich selbst. „Geh aus, mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Garten, schau an der schönen Gärten Zier und siehe wie sie dir und mir sich ausgeschmücket haben.“ So geht es 15 Verse dahin mit Lust, Vergnügen, Ergötzen in Heiterkeit: „Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich decket seinen Staub mit einem grünen Kleide; Narzissen und die Tulipan, die ziehen sich viel schönen an als Salomonis Seide. Die Lerche schwingt sich in die Luft, das Täublein flieht aus seiner Kluft und macht sich in die Wälder, die hochbegabte Nachtigall ergötzt und füllt mit ihrem Schall Berg, Hügel Tal und Felder…“

„Sehet die Lilien auf dem Felde“, hat Jesus gesagt, sie sind viel schöner Salomos Seidengewänder,
Und dabei waren die Lilien Unkraut im Graben und Salomo der schönste Traumkönig Israels – ganz schön spitz. Und ganz schön stark von Paul Gerhardt gegen Seelenzerstörung, erlebtes Elend und tiefes Leid anzusingen. Das Herz soll sich einen Ruck geben hinauszugehen und den Garten vor dem Haus auszuweiten zum großen Schöpfungsgarten, in dem die Süße des Lebens und der Genuss der Schöpfung warten. Versailles, Ludwigsburg und auch Potsdam haben schöne Gärten, herrschaftliche Gärten, sie waren nicht immer für alle zugänglich! Gerhardts Garten ist der Schöpfungsgarten, der war immer für uns alle zugänglich.

Am Ende verblüfft Gerhardt mit einer tollen Drehung: Der Mensch wird gleichsam botanisiert: Er wird zur Pflanze und pflanzliches Leben wird zum Bild für menschliches Leben:„ Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum, und lass mich Wurzel treiben; verleih, dass zu deinem Ruhm, ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben.“ Nicht alltägliche, aber anziehende Bilder: Als schöne Blume ein Teil von Gottes großem Garten sein, ohne Stress und Anpassungsdruck. Können wir der Einladung folgen: „Ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen, aus meinem Herzen rinnen…?

Worte für den Tag | Dienstag, 6. Juli 2021

Zuweilen wird in diesen „Worten zum Tage“ und „auf den Weg“ geseufzt, getröstet, ermutigt, wundervolle Erfahrungen werden erzählt, biblische Horizonte eröffnet und alltägliche Herausforderungen entfaltet, Menschen porträtiert und an Festtagen nachgedacht, was es denn zu hoffen gibt. Es wird nicht geweint und auch etwas zu selten gelacht…
Heute soll es zumindest um ein Lächeln gehen. Da gibt es einen Psalmvers, der vor lauter Schönheit fast heiliggesprochen ist, so wird er nicht mehr interpretiert, nur noch zitiert bei erhebenden Anlässen. Er lautet: „Güte und Wahrheit begegnen sich, Gerechtigkeit und Friede küssen sich“, Psalm 85, 11. Paul Gerhardt sang das Programm der Ökumenischen Bewegung – Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – schon vor fast 500 Jahren: „ Die Güt und Treu werden schön einander grüßen müssen, Gerechtigkeit wird einhergehen, und Friede wird sie küssen!“ Geht noch mehr?
Nein, es sei denn, man sieht mal kurz auf den hebräischen Text des Psalmverses: – Ach! Den kann man anders übersetzen: Gerechtigkeit und Frieden treffen aufeinander und kämpfen miteinander.

Das hebräische Wort, das mit küssen übersetzt wird, heißt auch „gegeneinander stoßen, etwas zusammenfügen, auch Waffen, auch Mund an Mund fügen, also küssen. Ein alter Ausleger sagt: „An einem Weltende herrscht Frieden, am anderen Gerechtigkeit; treffen sie sich in der Mitte, küssen sie sich.“ „ Schwerter zu Pflugscharen“ ist eine anschauliche Utopie, doch diese ist charmant, sinnlich und ge-schmack-voll. Nun steht in einigen Übersetzungen: “ Frieden und Gerechtigkeit haben sich geküsst/bekämpft.“ Das ist verwirrend, zumal sich beides nicht unbedingt ausschließen muss…Kuss oder Kampf? Was nun? Wenn es vom Küssen zum Kämpfen kommt, rückt die Hölle näher, kommt es vom Kämpfen zum Küssen, tut sich der Himmel auf.
Ich bin dafür, dass Frieden und Gerechtigkeit überhaupt zusammen kommen! Was wird aus Gerechtigkeit ohne Frieden? Was aus Frieden ohne Gerechtigkeit?
Wir sprachen zu Beginn vom Hoffen und Lächeln: Dorothy Parker, liebevolle Spötterin aus New York sagt dazu:
„Es gibt zwei Arten Menschen, diejenigen, die überhaupt keine Hoffnung haben, und die, die viel zu viel davon haben. Ich gehören ohne Zweifel zu beiden Gruppen.“
Sie auch?

Worte für den Tag | Montag 5. Juli 2021

„Während Fußball-Europa- und Weltmeisterschaften schaue ich mir jedes Spiel der Holländer an, wenn sie denn dabei sind“, erzählte mir eine Kollegin aus – Holland. Dann sitzt sie in einem Restaurant oder bei Freunden im Garten, springt auf, wirft die Arme in die Luft und schreit van Persie zu, das Snejder freisteht. Vielmehr lässt sich da nicht machen. Dies „Da lässt sich nichts machen…“ hat etwas Verzweifeltes, manchmal humorvoll, manchmal depressiv.

Es erinnert mich an eine Geschichte aus Südafrika. Ein Anwalt schaute zu, wie eine Frau versucht, ihr Auto aus einer Parklücke zu manövrieren. Er geht zu ihr hin und weist sie Schritt für Schritt an, bis der Wagen draußen ist. „Thank you, John“, meint die Frau. John ist der Einheitsname der Weißen für die Schwarzen. John. Dann streckt sie dem Mann eine kleine Münze hin. Er lehnt sie ab. Lehnt sie ab, auch auf Drängen. Der Mann nimmt das Geld nicht. Schließlich wirft die Frau es ihm vor die Füße und ruft: „Es reicht dir wohl nicht!“ und braust davon. Südafrika im Jahr 1952. Der Anwalt hieß Nelson Mandela.

Er hätte sich sagen können: So sind die Dinge halt; da kann man nichts machen. Hat er aber nicht. Er hat die Erniedrigung seines Volkes nicht hingenommen und dafür später 30 Jahre gesessen… Auf einer Sträflingsinsel.
Nun, ich bin kein Nelson Mandela, aber – ich kann zum Bespiel dazwischen gehen. Oder ich kann mich entschuldigen. Oder ich kann abends darüber nachdenken, was der Tag Schönes für mich bereitgehalten hat – meist lässt sich ja noch im Mühsamsten etwas finden. Oder ich kann Vertrauen anbieten, statt auf der Hut zu sein, kann versuchen, nicht zu lügen, kann wertschätzend von anderen sprechen, kann für die Verzweifelten in Syrien oder auf Lesbos einen Einzahlungsschein ausfüllen.

Ich kann in Corona-Zeiten daran erinnern, dass nicht wir es sind, die verhungern, dass das Elend in den Libanon-Lagern anders ausschaut als ein paar Tage in meiner Wohnung. Ich kann natürlich auch van Persie etwas in den Strafraum schreien oder doch selber einen gangbaren Weg suchen. Das vor allem.