Abendsegen | Sonntag, 25. April 2010

Vieles kann zum Symbol des Trostes werden. Bei Herta Müller, der Nobelpreisträgerin, war es das Taschentuch. Die Mutter fragte täglich, ob sie eines hätte – ihr Ritual, die Liebe zu zeigen. Das Taschentuch wird zum Symbol des Widerstands und der Menschenwürde. Als sie der Anwerbung als Spitzel widersteht, wird sie ihres Büros, ihres Schreibtisches beraubt. Im Treppenhaus setzt sie sich auf ihr Taschentuch…Ihre Mutter wird von der Polizei stundenlang verhört, weil die Tochter ausreisen will.  Während des Verhörs beginnt sie den Schreibtisch des Beamten zu wischen. – mit ihrem Taschentuch… Kleine Symbole des Trostes und der Hoffnung – Liebe und Zuneigung treten durch sie in Kraft.

Der Segen Gottes stärke uns in unserer Würde als Töchter und Söhne Gottes. Er gebe unserer Hoffnung Hand und Fuß. Er ermuntere uns mit kleinen Zeichen, morgen gerechte Schritte zu tun. So segne uns Gott, die Quelle, der Weg und das Ziel unseres Lebens.

Abendsegen | Samstag, 24. April 2010

Eine Pfarrerin in Liverpool bekam den Auftrag, in der Innenstadt eine Gemeinde aufzubauen, sie bekam keine Räume, kein Büro, kein Team, nur ein wenig Startgeld. Sie mietete einen kleinen Raum und sprach Menschen auf der Straße an: Arbeitslose, Angestellte, Alkoholiker, Junkies, Verkäuferinnen, Busfahrer. Sie lud sie ein in den kleinen Raum zum – Brotbacken. Da trifft man sich und backt Brot, immer eins für sich und zwei zum Verschenken. Beim Teigkneten erzählt man sich Geschichten, vom Hunger, vom Pech und vom Glück. Manchmal lesen sie in der Bibel, aber vor allem wird geknetet, gerollt, gewürzt und gebacken. Die Liverpooler Gemeinde heißt: „Breadbaking Ministry“ und wird sehr geliebt…

Unser Vater, unser tägliches Brot gib uns auch morgen! Segne alle gemeinsame Arbeit und beflügle unser Träumen, wenn wir an unsere Möglichkeiten denken…

Abendsegen | Freitag, 23. April 2010

Der Arzt machte ein bedenkliches Gesicht. Seit zehn Tagen liegt der Patient in kritischem Zustand, das Überleben ist fraglich. Der Patient spürt, wie es um ihn steht; Selbstaufgabe und Kampf steigen gegeneinander. Manchmal murmelt er gegen die Wand: „Gott, wenn es dich gibt, zeige deine Macht, ich brauche dich!“

Nach weiteren vier Tagen sieht der Arzt die Laborwerte gleich dreimal an, alle sind erheblich besser geworden. „Was ist mit Ihnen geschehen?“, fragt er den Patient. Der sagt stockend:

„Mein sechsjähriger Enkel war da. Der hat gesagt: ‚Opa, jetzt musst du wirklich bald nach Hause kommen! Mein Fahrrad ist kaputt!“

Gott segne uns und begleite uns durch das Dunkel der Welt zum Licht des neuen Tages. Er segne und behüte uns alle.

Abendsegen | Mittwoch, 22. April 2010

Die Ärztin und Nonne Ruth Pfau hat 40 Jahre in Pakistan unter den Taliban mit Leprakranken gearbeitet. Auf die Frage: „Was würden Sie den Taliban sagen, um die Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen?“ antwortete die kleine und zarte alte Dame:

„Die Kerle sollen sich endlich daran erinnern, dass sie alle von einer Frau geboren sind!“

Ich verstehe das so: Jedem wurde das Leben von seiner Mutter geschenkt. Keiner kann sich zum Herrn über das Leben anderer aufspielen! Welchen Schmerz fügen sie der Mutter zu, wenn sie den Sohn töten! Wie sie, sind auch die anderen von einer Mutter großgezogen worden, die hoffte, dass ihr das Leben gelingt und niemand ihnen Bomben in den Weg wirft.

Unser Vater, segne alle Mütter und Väter, die ihre Kinder ins Leben begleiten, dass sie mit guten Gedanken in die Nacht gehen können und erbarme dich aller, die voller Hass stecken.

Abendsegen | Mittwoch, 21. April 2010

Mozart war mit seinem Vater auf Konzertreise in Mailand, wollte dort komponieren. Er beschreibt ihr Mietshaus: „…oben unser ist ein violonist, unter unser auch einer, neben unser ein singmeister, der lection gibt, im letzten Zimmer gegen unser ist ein hautboist (oboist)…“

Auf deutsch: Aus jeder Ecke ein anderer Lärm: es bläst, quietscht und singt in allen Tonarten – zehnmal die gleiche Arie falsch gesungen, das Violinkonzert gekratzt, der Oboist scheitert an den hohen Tönen – das wahre Gräuel?

Mozart schreibt: „… dass ist lustig zum Componieren! Giebt einem viel gedancken!“

Mozart komponiert und mir imponiert er! Es kommt auf die Einstellung an! Und was dabei herausgekommen ist…

Unser Vater, segne die Ruhe der Nacht auch bei vernehmbaren Geräuschen über und unter uns! Mit einer Melodie von ferne einschlafen – wie wir es als Kinder taten…

Abendsegen | Dienstag, 20. April 2010

Wir wünschen das Leben aufregend – raus aus dem immer gleichen Einerlei und Trott.  Das Leben soll ein Event werden – pulsierend, attraktiv, voller Kicks. Selbst Kirchengemeinden sind auf dem Weg vom Heiland zum Highlight…

Erzbischof Helder Camara aus dem Nordosten Brasiliens erzählt eine Gegen-Geschichte:

„Im übervollen Autobus zog ein Kind die Aufmerksamkeit auf sich, das mit unendlicher Sorge ein Stück Holz in der Hand trug. Eine Dame hielt es nicht länger aus. Sie fragte, womit dieses Stück Holz soviel Sorgfalt verdiene.

Das Kind erklärte: ‚Ich führe eine kleine Ameise, meine liebste Freundin, spazieren. Dies ist ihre erste Busfahrt.“

Gott segne uns und entzünde in uns täglich neu Phantasie und Lebenslust. Er schütze, was uns lebendig macht, und behüte, was wir weiter tragen. Er begleite unsere Schritte morgen und alle Tage.

Abendsegen | Montag, 19. April 2010

„Weißt du, ob dein Großvater deine Großmutter aus Liebe geheiratet hat?“, fragte ein Freund. Nein  – das wusste ich genau. Mein Großvater stand als Witwer mit fünf kleinen Kindern da. Dass er meine Großmutter heiratete, war nicht die große Liebe. Er brauchte eine Mutter für seine Kinder, eine Meisterin im Haushalt.

„Hast du deinen Großvater am Grab deiner Großmutter gesehen – willst du behaupten, er habe sie nicht geliebt?“, fragte der Freund. Ich sah den gebückten alten Mann… im schwarzen Mantel… am offenen Grab stehen und um Fassung ringen. Der Friedhof im nasskalten November. Ich sah alles vor mir. Und als ich mich daran erinnerte, hatte ich keine Zweifel mehr, dass es in der Ehe meiner Großeltern die Liebe gab.

Der Friede Gottes erfülle und beschütze uns. Er lasse sein Licht leuchten über uns: In Freude und Schmerz, in Lachen und Weinen.

Abendsegen | Sonntag, 11. April 2010

Am Sonntagabend soll der Schweizer Erzähler Peter Bichsel das Wort erhalten.

Aus seiner Predigt „Der Herr ist mein Trotz!“ , biblisches Buch der Sprüche, Kapitel 3:

„Mir gefällt das kleine, stille, liebe Kind, dem der Onkel zärtlich übers Haar streicht und sagt: ‚Du bist eine ganz Liebe!’, und es stampft auf den Boden und sagt:’ Nein, ich bin eine ganz Böse!’ Das heißt: Ich bin nicht nur lieb und opportun, ich bin auch selbst jemand. Ich bin ein anderer – das ist Trotz. „Der Herr ist mein Trotz“. Ich weiß nicht, ob ich an Gott glaube, trotzdem, trotzdem – ich brauche ihn. Ich brauche ihn, damit das alles, was ist, nicht sinnlos ist, nicht schon alles ist! „Der Herr ist mein Trotzdem!“ Ich brauche ihn, um leben zu können. Mein Trotz ist meine Zuversicht!

Gott segne uns und behüte uns, er schenke uns ein kräftiges „Trotzdem“ für alles Kommende, er begleite und stärke uns auf allen unseren Wegen.

Abendsegen | Samstag, 10. April 2010

Der Schabbat, der jüdische Ruhetag, ist zu Ende gegangen, der Sonntag, der christliche Ruhetag, steht bevor.  Der Erzähler Elie Wiesel erinnert sich an die Schöpfungsgeschichte:

„Kein Zufall war es, sagte ich mir, dass die erste Frage in der Bibel die Frage Gottes an Adam war: „Wo bist du?“ Was! rief ein großer Rabbi aus, Gott wusste nicht, wo sich Adam befand? Nein, so darf man die Frage nicht stellen. Gott wusste es, Adam aber nicht. Deshalb muss der Mensch danach trachten, seine Rolle in der Gesellschaft zu kennen. Seine Aufgabe ist es, sich jeden Tag die Frage zu stellen: Wo stehe ich im Hinblick auf Gott und auf den Nächsten?

Die Nacht kommt. Du hast sie uns, Gott, freundlich gegeben als die Zeit der Stille, die Zeit der Sammlung, die Zeit des Schlafens. Lass uns um eines bitten: um das Gedächtnis für das Gute! Lass das Bruchstück meines Lebens trotz allem, was wider mich spricht, in dir geborgen sein.

Abendsegen | Freitag, 9. April 2010

Zu den schönsten deutschen Wörtern gehört das Wort „Geistesgegenwart“. Geistesgegenwärtig handeln, reagieren, geistesgegenwärtig das Wort ergreifen oder schweigen – das ist eine Kunst. Der Schweizer Erzähler Franz Hohler erzählt davon:

„Mit den Taschen vom Abendeinkauf stand er vor seiner Haustür und suchte den Schlüssel, da hörte er zum ersten Mal in diesem Jahr eine Amsel singen. Wie schön, dachte er, jetzt bringe ich schnell die Taschen hinein, stelle dann den Kehrrichtsack für morgen früh vors haus und höre noch ein bisschen dem Vogel zu. Als er mit dem verschnürten Sack vor die Tür trat, war der Gesang verstummt.“

Unser Vater, der du die Abende dunkeln lässt und die Morgen heraufführst, der du uns den Amselgesang hören lässt, segne uns mit Geistesgegenwart für das, was heute wahrzunehmen ist. Und gib uns die Gabe, den Tag wirklich zu beenden.