Abendsegen | Sonntag, 26. April

Ich lese einen Text der Berliner Schriftstellerin Katharina Hacker:

„Geschenke
In einer der alten Hinterhofwohnungen lebte ich in Berlin. Klo im Treppenhaus, provisorische Dusche in der Küche, und ich hatte Glück, es gab eine Gasheizung in bei mir; gegenüber die Brandmauer war mit Wein bewachsen. Geld hatte ich wenig, ich übersetzte und schrieb und verdiente fast nichts. Ein Freund überwies mir jeden Monat hundert Mark. Nicht für eine Waschmaschine, nicht für Kleider, auch nicht, um ins Konzert zu gehen, sondern für Geschenke. Ich sollte Geld haben, Geschenke zu kaufen, leichten Herzens.“

Diese beiden letzten Worte „leichten Herzens“ lösen eine Sehnsucht aus in Wochen, in denen wir so viel „schweren Herzens“ tun. In der Bibel ist das Herz das Zentrum des Menschen. Wem das Herz beschwert ist, dem fällt das Leben schwer. Maria, die Mutter Jesus, bewahrt die wichtigsten Erinnerungen in ihrem Herzen. Einen Menschen nicht „leichtsinnig“, sondern „leichten Herzens“ beschenken zu können – gibt es Schöneres?

Unser Vater, schenke uns in dieser Nacht einen leichten ruhigen Herzschlag. Sei mit
allen, deren Herz beschwert ist, rücke sie morgen in unseren Blick.

Quelle: Katharina Hacker, Darf ich dir das Sie anbieten? Minutenessays,
Berenberg Verlag, Berlin 2019 (ohne Seitenzahl)

Abendsegen | Sonnabend, 25. April

Die Woche geht zu Ende und wir sagen noch einmal. Ach, Italien! Land der Sehnsucht so vieler von uns, nun voller Orte des Schreckens. So viel Trauer hinter verschlossenen Türen, die Helfenden am Ende ihrer Kraft, und trotzdem: so viel Tapferkeit, so viel gelebte Solidarität!
Gott, wir bitten dich, lass die Menschen aufatmen können! Verändere uns alle in dieser Krise, dass wir mitfühlender werden, bereit zu helfen, wo wir können, auch wenn das etwas kostet. Stärke den Zusammenhalt zwischen den Völkern und lass aus der weltweiten Katastrophe die Einsicht wachsen, wie sehr wir einander brauchen. Wie gut es ist, Wissen und Mittel miteinander zu teilen, und wie kostbar Menschlichkeit ist. Gib denen, die jetzt entscheiden müssen, wie es weiter geht, die entscheiden müssen auch über Leben und Tod, Weisheit, Mut, deinen heiligen Geist, deinen Beistand. Bring uns in dieser Krise zur Einsicht für das, was im Leben wirklich zählt und weck in uns alle Kräfte zum Guten.

Unser Vater, wir gehen in diese Nacht im Vertrauen darauf, dass dein Segen
uns begleitet. Er lasse uns wieder aufstehen in eine neue Woche mit dir.

Abendsegen | Freitag, 24. April

Unbeschwerte Freude am Schabbat wird in den jüdischen Gemeinden hier und erst recht in Israel nur unter Schmerzen aufkommen. In großen Gruppen gemeinsam und beschwingt Gottesdienst zu feiern, ist gefährlich geworden, Intensiv haben sich die Psalmen mit den Erfahrungen von Gefahr, Tod und Leben auseinandergesetzt. So heißt es in trotziger Zuversicht:

„Ich werde nicht sterben, sondern leben!“, Psalm 118.

Die Psalmen helfen, die Verwandlung des Gewohnten zuversichtlich zu bestehen. Sie malen mit starken Farben, „damit du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die am Tage fliegen, vor der Pest, die im Finsteren umherschleicht, vor dem Fieber, das dich in der Hitze überfällt“. Heute sollen die Psalmen den Schluss sagen: „Ich sitze oder stehe, so weißt du es, du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege…von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Solche rkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.“

Abendsegen | Donnerstag, 23. April

„What a wonderful world!“, so heißt ein Lied, das 1968 für Louis Armstrong geschrieben wurde. Louis Armstrong, rauchig, rußig, und allzeit stockheiser, singt mit fröhlich-knarziger Inbrunst und unbeirrbarem Charme. Und das 1968: Vietnam-Krieg und die politische Welt im Ausnahmezustand. Armstrong sang von kleinen Dingen im Alltag, vom Schnee und von der Sonne.
Ausnahmezustand auch jetzt. Und doch: zwei Kinder arbeiten begeistert mit der Mutter im Garten, Junge stellen den Einkaufskorb vor die Wohnungstür, dazu im alten Marmeladenglas ein Kirschblütenzweig, wie mit japanischer Tusche gemalt. Bald kommt der Mai, der Mozart des Kalenders…
Aber ja, die Frage gilt: Was wird morgen sein? Wann erscheint ein lebensförderlicher Horizont? Trauen wir uns mit Louis Armstrong zu singen:

„What a wonderful world!“

Unser Vater in den Himmeln, segne so viel Tapferkeit, so viel gelebte Solidarität, schenke uns eine ruhige Nacht, in der wir wissen, wie kostbar Menschlichkeit ist.

Abendsegen | Mittwoch, 22. April 2020

Die 12jährige Felizitas Bogner aus Münster schreibt in ihr Tagebuch:
„Ich komm nicht raus und muss mich schützen,
spring draußen nicht mehr in den Pfützen.

Ich langweil mich und sitze hier
zwischen Dosenfleisch und Klopapier,
bleib nur hier.
Ich weiß nicht, was ich tun kann
wenn ich raus geh, steck ich mich an.

Ich muss mich vor dem Virus schützen,
damit den Schwäch‘ ren die Krankheit doch ersparet bleibt.
So sitz ich hier.

Ich warte und warte nun
es gibt ja nicht so viel zu tun
außer denken und Aufgaben machen
nicht zum lachen – ich bleib hier“

Unser Vater in den Himmeln, gib, dass die Generationen trotz allem
Abstand zusammenhalten. Mit einem Lächeln lass uns in eine ruhige Nacht gehen.

Quelle: feinschwarz. Theologisches Feuilleton, www.feinschwarz.net/festgehalten-kolumne-8

Abendsegen | Dienstag, 21. April 2020

Eine der ermutigendsten Frauen des vergangenen Jahrhunderts war Käthe Kollwitz. Sie starb am 22. April 1945, vor 75 Jahren. Auf dem Kollwitz-Platz in Berlin-Prenzlauer Berg sitzt sie als Bronzefigur – schwer, gebeugt, mit Zeichenblock und Kohlestift. 1941 schrieb sie zu einer Zeichnung:

“Jungen, richtige Berliner Jungen, die wie junge Pferde gierig nach draußen wollen, werden von einer Frau zurückgehalten. Die Frau hat die Jungen unter sich und ihren Mantel gebracht. Gewaltsam und beherrschend spreitet sie die Arme und Hände über die Jungen. „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ – diese Forderung ist wie „Nie wieder Krieg!“ kein sehnsüchtiger Wunsch, sondern Gebot. Forderung.“

Unser Vater, Danke für die bewegende Erinnerung an Käthe Kollwitz! Schenke uns in der kommenden Nacht Kraft und Stärkung für das morgen wieder Notwendige.

Quelle: Käthe Kollwitz, Die Tagebücher 1908-1943, hrsg. v. Jutta Bohnke-Kollwitz
btb Verlag, 2007 , Tagebuch 1941

Abendsegen | Montag, 20. April 2020

Wie nötig haben wir Ermutigungsgeschichten!
Vor ein paar Tagen saßen zwei jüdische Kinder mit ihren Eltern in einem Zug der Londoner U-Bahn, als ein Mann auf sie zukam und sie fast zwanzig Minuten antisemitisch beleidigte.
Jemand griff ein, wurde aber mit Gewalt bedroht. Dann konfrontierte eine junge Frau den Mann und sagte ihm ruhig, dass das, was er tue, falsch sei. Das lenkte ihn ab und rettete die Situation. Die Heldin – eine junge muslimische Frau, die einen Hidschab trug. Sie selbst wusste, wie es ist, beschimpft zu werden. So identifizierte sie sich mit der jüdischen Familie. Sie sagte später im Zug: „Ich würde nicht zu zögern, es noch einmal zu machen“.

Unser Vater, gib uns ein Gedächtnis für diese Frau und segne sie. Stärke unseren Schlaf. Es gibt immer Ermutigungen…