Abendsegen | Sonntag, 22. Mai

Bevor Menschen vor Gott klagten und zu ihm beteten, haben sie vor ihm gesungen – Danklieder, Loblieder, Klagelieder. Aus dem großen Liederbuch der Bibel einige Zeilen des 91. Psalms:

Wer bei Gott zu Hause ist
und im Schatten des Herrn schläft
sage zu ihm: Du bist die Rettung für mich!
Ja, er ist es, der dich herausgezogen hat
wie aus der Schlinge eines Jägers.
Also musst du keine Angst haben vor dem Schrecken der Nacht.
Denn er hat seinen Engeln aufgetragen, dich auf immer zu schützen.
Sie tragen dich auf ihren Händen, damit deine Füße anstoßen nirgendwo!

Gott wird sie nicht aus seiner Hand gleiten lassen; er segne die Nacht und den Morgen.

Abendsegen | Sonnabend, 21. Mai

Ob es heute eine Gelegenheit zum Danken gab? Dank, Freiheit und Heiterkeit sind gute Geschwister. Das Danken zu lernen ist viel wichtiger als jede Moral, denn: Wer dankt, schlägt nicht. Wer dankt, benutzt nicht. Wer dankt, zerstört nicht.
Man hat gesagt: die Muttersprache des Dankes sind die Lieder und ist die Musik. Mit der Musik, und den Liedern kann unser Mund schon viel mehr als unser Herz kann. Ich weiß, notwendig und nützlich sind Lieder nicht…aber vielleicht kann man das Schönste im Leben nicht unter Nützlichkeit verrechnen. Küsse, Gedichte und Blumen zum Beispiel.
Der morgige Sonntag heißt „Cantate“ – Singet!

Der menschennahe Gott lasse sie mit einer Melodie einschlafen, sein Geist belebe sie mit guten Träumen und schenke ihnen einen strahlenden Sonntag.

Abendsegen | Freitag, 20. Mai

Für die jüdische Gemeinde ist wieder Schabbat geworden – Zeit, von der jüdischen Weisheit zu hören:
Ein Lehrer sagt: Ich glaube, ich weiß eines: Niemand hat das Monopol über die Wahrheit. Wir haben jeder unseren eigenen Weg, der zur Wahrheit führt. Und was wir tun können ist, wenn wir auf unserem Wege gehen, unsere Hände auszustrecken und mit jemandem gemeinsam zu gehen. Und das tun wir.

Der lebendige Gott möge seine segnenden Hände über uns alle halten und mit uns ihn gehen, den schönen und manchmal schwierigen Weg durch die Nacht, mit uns, die wir auf ihn hoffen, mit ihm rechnen und ihn loben.

Abendsegen | Donnerstag, 19. Mai

In Berlin-Friedenau lebt die Lyrikerin Eva Zeller, 88 Jahre alt, weit gereist, weise und webt die Worte wie nebenbei. Aus ihrem Gedichtband „Das unverschämte Glück“ die Zeilen mit dem unverschämten Titel „Kirchenraub“:

Bin weggegangen
bin hiergeblieben
hab dagelassen
hab mitgenommen

aus dem Klingelbeutel
die verlorenen Groschen
aus dem Kerzenstummel
den glimmenden Docht

und dann den Ölzweig
aus dem Schnabel der Taube
etwas zum Anfassen
braucht unser Glaube

Der lebendige Gott lasse alles für sie zum Segen werden, der Mond über ihnen, die Erde unter
ihnen und die Nacht, die vor ihnen liegt.

Abendsegen | Mittwoch, 18. Mai

Lothar Zenetti „Spät am Abend“

Es ist nun still geworden hier im Haus.
Der bunte Tag, der so viel Lärm gebracht,
verging. In dunklem Kleide kommt die Nacht…
und sieht gebückt mich über ein Papier.
Hast du dir endlich einen Reim gemacht
fragt sie, auf Gott und Welt?…
Geh schlafen, lächelt sie, ich schenke dir
im Schlummer, was du suchst.
So lasse nun getrost, was du am Tage nicht vollbracht.

Gott segne jeden Atemzug, der uns beruhig; Gott, segne jeden Atemzug, der uns belebt.
Gott segne die Nacht und den Tag.

Abendsegen | Dienstag, 17. Mai

Der große Dramatiker Bertolt Brecht hat viel für Kinder geschrieben und von Kindern gelernt, so auch in dieser kleinen Erzählung.
Herr K. sah sich die Zeichnung seiner kleinen Nichte an. Sie stellte ein Huhn dar, das über einen Hof flog. „Warum hat dein Huhn eigentlich drei Beine?“, fragte Herr K.
„Hühner können doch nicht fliegen“, sagte die kleine Künstlerin, „und darum brauche ich ein drittes Bein zum Abstoßen.“
„Ich bin froh, dass ich gefragt habe“, sagte Herr K.

Gott möge unsere Nacht mit einfallsreichen Träumen segnen und uns in einen Tag führen, in dem das Große nicht mehr gelte als das Kleine.

Abendsegen | Montag, 16. Mai

Die erste Frage in der Bibel war die Frage Gottes an Adam: „Wo bist du?“ – Was? rief einmal ein großer Gelehrter aus, Gott wusste nicht, wo sich Adam befand? Nein, sagten andere, so darf man die Frage nicht stellen. Gott wusste es, Adam aber nicht. Deshalb muss der Mensch immer danach trachten, seinen Ort, seine Aufgabe in der Gesellschaft zu kennen, seinen Platz in der Geschichte. Seine Aufgabe ist es, nach einem langen Tag sich die Frage zu stellen, wo stand ich heute im Blick auf Gott und auf den Nächsten?

Gott sei Dank, dass wir diese Frage stellen dürfen. Gott sei Dank, dass er uns bergen will im Schatten seiner Flügel. Er segne unser zur Ruhe kommen.

Abendsegen | Sonntag, 8. Mai

Am Abend des 8. Mai 1945 wird die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus besiegelt, der zweite Weltkrieg ist vorbei. Einige Zeilen aus dem wichtigsten Gedicht jener Tage: „Inventur“ von Günter Eich.

Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen…

Im Brotbeutel sind
Ein Paar wollene Socken
und einiges, was ich
niemand verrate.

Dies ist mein Notizbuch,
dies meine Zeltbahn,
dies ist mein Handtuch,
dies ist mein Zwirn.

Er benennt seine Habseligkeiten. Er hat überlebt.
Gott, der von uns abwenden möge Hass und Gewalt, breite über unserer Nacht das Zelt seines Friedens.

Abendsegen | Sonnabend, 7. Mai

Alles neu macht der Mai!? Ja, aber er vertreibt das Älterwerden nicht. Die spanische Kirchenlehrerin Teresa von Avila betete vor 500 Jahren: „Herr, du weißt besser als ich, dass ich älter werde. Bewahre mich vor der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen. Lehre mich, hilfreich, aber nicht diktatorisch zu werden. Lehre mich schweigen über meine Krankheiten.; die Lust, sie zu beschrieben, wächst. Erhalte mich so liebenswert wie möglich. Lehre mich, an anderen Menschen Talente zu entdecken und verleihe mir die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.

Gott, der uns kennt, ob wir sitzen oder stehen, gehen oder liegen, möge uns umgeben von allen Seiten, halte seine Hand über uns halten und unseren Schlaf segnen

Abendsegen | Freitag, 6. Mai

Es ist Schabbat-Abend – Grund, von der jüdischen Lebensweisheit zu sprechen: Eine Mutter klagte dem Rabbi: „Mein Sohn hört nicht auf, Süßes zu naschen! Was tun?“ Der Rabbi dachte nach und sagte: “Komm in einer Woche wieder!“ Sie kam wieder: „Er nascht noch immer! was kann ich tun?“ Der Rabbi sagte: „Komm in einer Woche wieder!“ Nach einer Woche strahlte das Gesicht des Lehrers, er sagte: „Sag ihm einfach, er soll das Naschen sein lassen!“ Verärgert sagte die Frau: „Danke, dazu hast du drei Wochen gebraucht?“ Der Rabbi antwortetet: „Das war nicht so einfach – drei Wochen habe ich gebraucht, um mir das Naschen selbst abzugewöhnen.“

Gott, der uns geschaffen hat mit Stärken und Schwächen, segne die Ruhe der Nacht und den ersten Blick in das Licht des neuen Tages