Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Sonnabend, 27. April

Ab morgen sind es noch 10 Tage bis zum nächsten christlichen Feiertag: Christi Himmelfahrt, und noch 10 Tage weiter feiern wir Pfingsten – wir sind in einer fest-dichten und geistlichen-hochpolitischen Zeit. Pfingsten feiern wir die wunderbare Sprachverständigung, jede bleibt in ihrer Sprache, alle aber verstehen sich. Da müssten die Kirchen warnen: „Kann Spuren von Anarchie enthalten!“ Am Himmelfahrtstag, dem politischsten aller Festtage, wird deklariert: Jesus sitze im himmlischen Regiment als Weltenherrscher. Was schleppt das gesittete Christentum da an gefährlichem Sprengstoff seit Jahrhunderten mit sich?

Der Philosoph Immanuel Kant liebte das Nachdenken über den Himmel seit der Kindheit. Seine Mutter ging bei anbrechender Nacht mit ihm ins Freie, den Sternenhimmel zu betrachten: seine Weite, sein Gewölbe, die unsagbare Schönheit der Schöpfung. Er erinnert: „Sie führte mich oft außerhalb der Stadt, machte mich auf die Werke Gottes aufmerksam…drückte in mein Herz eine tiefe Ehrfurcht gegen den Schöpfer aller Dinge. Ich werde meine Mutter nie vergessen, denn sie pflanzte und nährte den ersten Keim des Guten in mir, öffnete mein Herz den Eindrücken der Natur. Ihre Lehren haben einen immerwährenden Einfluß auf mein Leben gehabt“.(1)

Dieser immerwährende Einfluss von Kants Mutter hat nicht nur den kleinen Immanuel, sondern auch die folgenden Jahrhunderte geprägt: Caspar  David Friedrichs „Mönch am Meer“ und die Karl-Friedrich Schinkel „Sternenzelt“-Kirche in Neuhardenberg und der neue Berliner U-Bahnhof Museumsinsel geben diesem religiösen Grundgefühl Ausdruck bis heute. 

In Kants Worten:

„ Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“(2)

Kants Berliner Brieffreund, Moses Mendelssohn, übersetzte im gleichen Jahr den Psalm 8 – zwei Freunde im Geiste:

„Unendlicher! Gott, unser Herr1 Wie mächtig ist dein Name‘ auf Erden; Da deine Majestät am Himmel glänzt…betracht ich deiner Finger Werk, den Himmel – Was ist der Mensch, dass du noch ein gedenkest, der Erdensohn, dass du dich seiner annimmst ?“                                           

  1. zit. nach Manfred Geier, Kants Welt, 2020, S. 25
  2. zit. nach Boehm/Kehlmann, der bestirnte himmel über mir, 2024, S.38
  3. Ausgabe bei Henssel, Berlin, 1991

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Freitag 26. April

„Es kommt immer anders, wenn man denkt“ – Augenblick, wie war das? Fehler, oder? „Es kommt immer  anders, als man denkt“? Das ist doch die alte Warnung, die kluge Wappnung vor der Enttäuschung, dass Erwartetes nicht eintrifft. Eben hieß es aber „Es kommt immer anders, wenn ist eher eine Verheißung, das klingt nach Kant, meint selber-denken kann den Verlauf verändern. Steht auf einer Postkarte. „Es kommt immer anders, wenn man denkt“, das ist spielerischer Ernst, das ist sehr gut, weil es so viel kummervollen, schmerzlichen und blutigen Ernst gibt.

Ich betrachte ein Foto aus dem Jahr 2005: Gerhard Schröder und Wladimir Putin stehen in Königsberg am Grab Immanuel Kants; beide machtbewusst, herrschaftsbewusst. Schröder legt einen Kranz nieder, Putins spricht vom gemeinsamen Mitbürger Kant. Der sagt nichts. Kann er nicht mehr. Mitbürger aus Litauen und Polen sagen auch nichts; sind nicht eingeladen. Die üben wie Kant das Selber-denken, was in Putins Reich riskant ist. Ob Putin auch den Aufsatz des Mitbürgers Kant zum „ewigen Frieden“ gelesen hat? Da steht nämlich zu lesen, Friede sei ein Zustand des Krieges, er muss also erarbeitet werden. Es soll keinen Friedensschluss geben, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Krieg gemacht werden könnte. Das ist Kants Linie: Ein Frieden darf keine Ursache zu künftigem Krieg enthalten. Das ist der Nerv augenblicklicher Debatten um einen Frieden in der Ukraine. Kant will damals als einzige Lösung weltweite Freundschaft, einen Völkerbund, den Verzicht auf nationale Souveränität. Kant weiß: Das braucht Zeit. Es geht um eine radikale weltweite Verbundenheit! 

Ich kann nicht erkennen, dass Kant einen Blick zu den biblischen Propheten geworfen hat, sie waren hier Vordenkende. Im Buch vom Wort Gottes heißt es, z.B. bei den Propheten Micha und Joel, dass die Völker nach Jerusalem strömen; Gott wird ihnen Weisheit und Weisung geben, Kriegsgeräte werden überflüssig, deshalb werden die Völker ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Schwerter zu Winzermessern. Dadrin sind keine neuen Kriege verborgen, kantgemäßer geht es nicht. Der moderne Hoffnungsphilosoph und bibelgeprägte Ernst Bloch sieht hier das Urmodell der befriedeten Internationale. Das Ende jeden Machtgehabes. 

Quelle: Das Photo ist gedruckt in „ ZEITGeschichte, 2024/1, KANT“, S.8

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Donnerstag, 25. April

„Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. Meint Immanuel Kant, der große Philosoph, und fährt fort: Ein stumpfer oder eingeschränkter Kopf, dem es an nichts als an gehörigem Grade des Verstandes ist durch Erlernung sehr wohl bis zur Gelehrsamkeit auszurüsten.“

Der ganze Kant in – er ist ein nach-denklicher Philosoph – zwei Sätzen. Folgt man dem ersten Satz „Der Mangel an Urteilskraft ist das, was man Dummheit nennt“ und blickt auf die politischen Zeitläufte, insbesondere die Wahlkämpfe anderswo und hier, nimmt man an einem politischen Totalschaden teil, jenseits jeglicher Vernunft.

Kant hat schwierige Bücher geschrieben, drei beginnen mit dem Wort „Kritik“. Das meint In seinem Fall nicht Mäkelei; „Kritik“ ist nach Kant die Bestimmung der Grenzen und Möglichkeiten eines Sachverhalts, zum Beispiel der Urteilskraft. Fällt die aus, regiert die Dummheit.

„Fehlen nur Grade des Verstandes, kann der Mensch mit Erziehung und Unterricht bis zum Grad der Gelehrsamkeit ausgerüstet werden;“ das war der zweite Satz, den wir mit großem Dank hören. Wieder ist Kant in der biblischen Spur; Der Berliner Pfarrer Dietrich Bonhoeffer hat das auch so empfunden und nennt es brandaktuell: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Ja, gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern – gegen die Dummheit sind wir meist wehrlos. Gründe verfangen nicht, Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden.  Der Dumme ist zum Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden, ja, er wird sogar gefährlich, wenn er, leicht gereizt, zum Angriff übergeht. Das Wort der Bibel, dass die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei – so zu finden im Buch der Sprüche, sagt, dass die innere Befreiung des Menschen zu einem verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung von Dummheit ist. Neben der Bibel gibt es im Kant-Jahr jede Menge Bücher zum Königsberger Philosophen.

Eins davon, das mit in die Sommerferien sollte das Bändchen „Mit Kant am Ast der Dummheit sägen“…

Quelle: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (Auszüge), Dietrich Bonhoffer Werke, Bd 8, S. 26f

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Mittwoch 24. April

So lautet ein Bekenntnis zum Denken des großen weltweisen Immanuel Kant. Sein 300. Geburtstag begehen wir in dieser Woche: „Die Freiheit zu denken: das einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt und wodurch allein gegen alle Übel noch Rat geschaffen werden kann.“ Seltsam, dieses Bekenntnis zum Denken klingt wie ein Glaubensbekenntnis – mit scharfen Ausschließlichkeiten: „Die Freiheit zu denken: das einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt, und wodurch allein gegen alle Übel noch Rat geschaffen werden kann.“ Vereinnahme ich Kant religiös, wenn ich da höre: Einzig, allein, gegen alle, noch… ist das nicht bekennende Rede? Bei Martin Luther hieß das: Allein der Glaube, allein die Gnade, allein Christus, allein die Schrift! Und bei Kant heißt es: Allein das Denken! 

Das ist zwar im Stil eines Glaubensbekenntnisses intoniert, aber vom Glauben hat Kant, so fürchte ich, wenig verstanden, er lässt sich an keiner Stelle wirklich auf ihn ein. Glauben ist eher so eine Art „Meinen, Für-wahr-halten“, keine Vernunftleistung, eher ein „Religionswahn“, der der Vernunft mit voranschreitender Zeit weichen muss. Bei Kant kein Wort von Luther. 

So wage ich mit Zittern und Zagen den Satz: Wo Kant mit dem Bekenntnis zum Denken,  ausschließlich zum Selber-Denken, zur Vernunft, hinwill, da sind biblisch Glaubende  schon. Das kann man mit dem Berliner Geistlichen Wolf Krötke gewiss nur „mit Zittern und Zagen“ sagen.Doch blicken Glaubende auf den biblischen Jesus und seinen Einsatz für eine versöhnte Menschlichkeit, so mag das, was die Christenheit damit gemacht hat, zwar immer wieder zum Heulen sein, doch das Augenmaß des Glaubens ist durch Jesus Christus gegeben.

„Gottes Wort im Kant-Jahr“ – das darf kein religiöser Schnörkel sein, den wir an ein Datum hängen. Da wird im Gespräch mit Kant das Augenmaß gefunden für das Menschenmögliche und damit für eine „menschendienliche Vernunft geschärft“(1).

Unsere Welt wimmelt von religiösen Angeboten und aufdringlichen Bekenntnissen. Was dem Glauben an Vernunft verloren geht, wird oft durch Aberglauben ersetzt. Vor all dieser Unvernunft bewahre uns – Kant!

(1)Wolf Krötke, Gottes Wort „im Kant-Jahr“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, 2004, 458-464

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Dienstag, 23. April

„Wissen macht das Gesicht freundlich und lässt die strengen Falten verschwinden“, so steht es im biblischen Buch des Predigers, 8,1. Ein Satz, so recht nach dem Herzen des Philosophen Immanuel Kant, der heute vor 300 Jahren am 23. April 1724 getauft wurde.

Nein, nein, der weltberühmte Philosoph war – anders als mancher denkt – kein grämlich-unfroher Bücherwurm mit strengen Falten auf der Stirn, man erzählt von seinem bezaubernden Charme, ein Gentleman des Denkens, der seine Freude, am Ast der Dummheit zu sägen (1), gern allen mitteilte.

Ein Philosoph, wörtlich übersetzt: ein Weisheitsforscher, ein die Weisheit Liebender, dem aber auch wütend der Satz entfahren konnte: „Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Dafür lebte er: Den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszuführen; er nannte das „Aufklärung“. Das brachte ihm in der Christenheit damals wie heute nicht viele Freunde, denn Aufklärung, Vernunft und Weisheit gehören nicht immer zu den erstrebenswertesten Zielen kirchentreuer Menschen; weshalb sie leider auch unter den felsenfesten Wählern eines jenseits aller Vernunft schreienden Präsidentschaftskandidaten in den USA zu finden sind.

„Wissen macht das Gesicht freundlich und lässt die strengen Falten verschwinden“, so die Bibel und Immanuel Kant. Wissen macht schön. Und dabei blieb Kant einer der berühmtesten Singles der Geschichte. Aber da liegt bei dem Philosophen ein ziemlicher Hase im Pfeffer, ich meine, seine Bibellektüre. Hätte er nur einmal die Psalmen aufgeschlagen, den Prediger, Hiob, Kohelet, Jesus Sirach, die Sprüche oder das Hohe Lied, dann wäre er, der Weisheitsforscher, Frau Weisheit begegnet. Reizvoll, diesem aufregenden Paar zuzusehen, der Herr Philosoph trifft die Frau Weisheit, die an Gottes Seite tanzte und spielte, als er die Welt schuf, so aufzufinden im Sprüchebuch, Kp.8.

Da wäre er gewiss gern dabei gewesen, und hätte sie rufen gehört auf dem offenen Markt:  „Wie lange noch, ihr unreifen Jünglinge, gefällt euch eure Unreife? Dumme hassen Erkenntnis! Wendet euch meiner Belehrung zu! Wer sie hört, bleibt verschont von bösem Schrecken!“ Recht hat sie bis heute.

(1) Hand-Joachim Neubauer, Mit Kant am Ast der Dummheit sägen, Verlag Herder, 2006,

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Montag 22. April

„Anno 1724 d. 22ten April Sonnabends um 5 Uhr ist mein Sohn Emanuel an  diese Welt geboren und hat den 23ten die heilige Taufe erhalten. Gott erhalte ihn in seinem Gnaden Bunde bis an sein seliges Ende um J.C. Willen. Amen“. 

So feierlich trug es die Mutter Anna Regina tagsdrauf ins Hausbuch der Familie Kandt – damals noch mit dt – ein. Das geschah heute vor 300 Jahren in Königsberg, wo der preußische Kalender galt und für diesen Tag den Namen Emanuel bereithielt. Erst nach dem Tod des Vaters änderte der Sohn seinen Namen in Immanuel, ein alttestamentlich-hebräisch bedeutsames Wort, zu übersetzen mit „Gott ist mit uns“, aber auch „Gott sei mit uns“. Nun beginnt schon das Fragen: Welche Fassung wohl seinem Leben gerecht wird? Die biblische Unerschütterlichkeit des „Gott ist mit uns“ oder der biblische Hoffnungstrotz: „Gott sei mit uns!“ Doch lassen wir dieses Kind erst einmal das „Licht der Welt“ erblicken – heute vor 300 Jahren. Viel Raunen und Rauschen hat der 300. Geburtstag Immanuel Kants schon in Bewegung gesetzt: Ausstellungen, Buchausgaben, Aufsätze widmen sich ihm. 

Er gilt als der deutsche Philosoph und deutsche Denker.

Und heute vor 300 Jahren erblickte er das „Licht der Welt“. Zwei Worte, die zu Leitworten seines Lebens wurden: Licht und Welt. Ein Leben lang arbeitete er an und für die Erleuchtung unseres Lebens, für die Aufklärung der Menschen, gemäß dem ersten Wort des Schöpfers: „Es werde Licht !“ Und er arbeitete sein Leben lang – 82 Jahre, für seine Zeit gesegnet lang – an der Frage nach der Welt: Was ist die Welt? Was steckt hinter ihr? Wohin entwickelt sie sich? Wie können wir wir vernünftig und verantwortlich in ihr leben?

Heute vor 300 Jahren, am 22. April 1724, erblickte Immanuel Kant das Licht dieser Welt, der Weltweise, der Weltbürger mit festem Wohnsitz, wie man sagte. In dieser Woche folge ich tastend Augenblicken seines Lebens und seines Fragens, die am Ende zu einer einzigen Frage zusammenrückten: „Was ist der Mensch?“ Das fragen wir uns heute auch. Immer wieder, immer neu. Am 12 Februar 1804 verlässt Immanuel Kant das Licht dieser Welt. Die um ihn waren,  berichteten, er habe undeutlich, aber verständlich geflüstert: „Es ist gut“.