Das Vorurteil oder Missverständnis
Wenn Christen von Gott reden, so ist meist – unausgesprochen oder ausgesprochen – ein antijüdischer Gegensatz im Spiel: Gott, wie er von Jesus gepredigt und im Neuen Testament
dargestellt wird, sei ein liebender Gott, im Gegensatz zu dem des Alten Testamentes und des Judentums, der als Rache-, Richter- und Kriegsgott in Erscheinung träte.
Argumente
1. Rache im Sinne von Rachsucht, von maßloser Vergeltung ist im Alten Testament und im Judentum verboten.
„Du sollst dich nicht rächen und nicht nachtragen den Kindern deines Volkes.“ (3. Buch Moses 19,18)
2. Repräsentativ für die Haltung des Judentums zu den Rachegelüsten des Menschen ist dies:
„Jedes jüdische Kind, das traditionelle Erziehung genossen hat, wird auf die Frage, warum am letzten Tag des Pessachfestes nur das halbe Hallelgebet gesagt wird, sofort den sprichwörtlich gewordenen Satz zitieren: ’Meine Geschöpfe… ertrinken im Meer und ihr singt ein Lied?“
Dies ist die Antwort, die…Gott den Engeln gegeben hat, als sie ob der Niederlage der Ägypter ein Lied anstimmen wollten. Dementsprechend soll auch die Freude der Israeliten am siebten Tag des Pessachfestes, an dem Durchzug durch das Schilfmeer stattfand, eine gedämpfte sein. Es findet sich ja auch im Pentateuch (=den fünf Büchern Moses)selbst die Anordnung: ‚Verabscheue nicht den Ägypter, denn ein Fremdling warst du in seinem Lande’, (5. Buch Moses 23,8). Also: Keine Rache für das Ertränken der Neugeborenen und den Frondienst.
Ganz in diesem Sinne erfolgte nach dem biblischen Bericht vor jeder der 10 Plagen eine Art Friedensangebot Gottes an Pharao und nur die Nichtakzeptierung dieses Angebotes machte eine weitere Plage erforderlich, sozusagen als notwendiges Übel. Es ist daher heute noch Brauch, am ‚Seder-Abend’, der ersten Pessach-Nacht, bei der Aufzählung der 10 Plagen je einen Tropfen aus dem vollen Weinbecher zu verschütten; jeder vergossene Tropfen symbolisiert eine vergossene Träne des Mitleids und des Mitleidens“ (1)
3. „ Der moralisch verwerflichen Rachsucht steht nun die Rache im Sinne gerechter Bestrafung gegenüber. ‚Mein ist die Rache, die Heimzahlung’, spricht Gott (5. Buch Moses 32,35). In erster Linie hat das Bundesvolk diese Rache zu gewärtigen, falls es den Bund nicht hält (3. Buch Moses 26,25): ‚Und ich werde über auch das Schwert bringen, das die Rache des Bundes übt’.
An all den Bibelstellen, an denen ‚rächen’ inhaltlich identisch ist mit ‚strafen’, kann die Bevorzugung des ersteren gegenüber dem zweiten Ausdruck nur stilistischer Natur sein: die drastischere Wendung ‚rächen’ findet sich weniger in juristischen als in poetischen Zusammenhängen, bei Gefühlsaufwallungen, so z.B. an derjenigen Stelle, die der Bezeichnung ‚Gott der Rache’ zugrunde liegt – Psalm 94,1 – wo es heißt:
‚Gott der Rache, Ewiger, Gott der Rache, erscheine! Erhebe dich, Richter der Erde, vergelte Lohn den Hochmütigen. Wie lange sollen Frevler, o Ewiger, wie lange die Frevler jauchzen?’
Hier spricht ein mit den Unterdrückten mit leidender Mensch, der an den persönlichen Gott, den ‚Vater der Waisen und Richter der Witwen’ appelliert, wie im Psalm 68,6“ (2).
4. „Der Hinblick und Hinweis auf die Schriftstellen – Psalm 79,10, 5. Buch Moses 32,43 –
bringt uns die Versicherung und Verheißung, dass Gott alles sieht, was wir dulden und die Vergeltung jeder unserer Missetaten sich vorbehält, diese Zuversicht gab uns die Kraft, die Gemordeten und nie die Mörder, die Gehenkten und nie die Henker, die Beraubten und nie die Räuber zu werden, und inmitten einer verkennenden, höhnenden und misshandelnden Bevölkerung den Fürsten die Treue, den Mitbevölkerungen menschliches Mitgefühl zu bewahren und unser Zusammenleben mit den Bevölkerungen nur durch Wohltun und Menschlichkeit zu bezeichnen. Diese Aufrufe zu Gott haben uns menschlich und milde erhalten, und das ist die Frucht dieser zu Gott als Rächer der Unschuld aufschauenden Gebete“ (3).
5. Gerade in den Psalmen sind Rachewünsche dichterischer Ausdruck für die Sehnsucht, dass das Böse und die Bösen nicht das letzte Wort haben dürfen. Es sind Wünsche von Verfolgten, Armen und Menschen, die sich in Todesangst befinden – wer wollte ihnen auferlegen, ihre Ängste und Aggressionen zu verdrängen, statt sie „im Gebet vor Gott (!) auszusprechen, sie gewissermaßen in Seine Hände zu legen, damit sie nicht urplötzlich die eigenen Hände zur Tat treiben!“ (4).
6. Auch im Neuen Testament findet sich bei verschiedenen Autoren der Gedanke des „Gottes der Rache“, so im Hebräerbrief 12,29; im Matthäusevangelium 21,41 und Brief an die Römer 12,19. Also: „Die Frage …liegt auf der Hand, warum sich mit dem Alten Testament, und nur mit dem Alten Testament, die Vorstellung eines ‚Gottes der Rache’ im negativen Sinne verbindet.“ (5) Vielfach waren es in der Geschichte die Christen, die tatkräftig Rache an den Juden für die angebliche Kreuzigung Jesu übten. War und ist die Verschiebung des Rache-Vorwurfs auf das Alte Testament und die Juden etwa nur eine Entlastung für das eigene Tun?
7. Umgekehrt ist Feindesliebe, das Gebet für die Feinde und Gottvertrauen statt Rachegefühlen eine breit dokumentierbare Haltung jüdischer Märtyrer durch die abendländisch-christliche Geschichte hindurch. Stellvertretend für viele sei hier ein Gedicht (6) der Schoa-Überlebenden Ilse Blumenthal-Weiß zitiert:
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Ich kann nicht hassen.
Sie schlagen mich. Sie treten mich mit Füßen.
Ich kann nicht hassen. Ich kann nur büßen
für dich und mich.
Ich kann nicht hassen.
Sie würgen mich. Sie werfen mich mit Steinen.
Ich kann nicht hassen. Ich kann nur weinen.
Bitterlich.
Folgerungen
1. Es gibt keine – vorurteilsfreie – Begründung für die Aussage, im Alten Testament oder im Judentum sei Gott ein Gott der Rache.
2. Der jüdische Gelehrte Leo Prijs kommt zu dem Schluss: „Denn beide“ (zu ergänzen.: Die jüdische und christliche Tradition) „haben nicht gegenseitigen Hass und Rachsucht, sondern Nächstenliebe auf ihre Fahne geschrieben, und der beiden gemeinsame Gott hat, nach der Allegorie des Hohen Liedes, nicht Rache, ‚sondern Liebe auf sein Panier geschrieben’“ (7)
1)Leo Prijs, Die jüdische Religion, München 1977, S. 110f.
2) a.a.O., S.111, 113
3)Elie Munk bei L.Prijs, S.114f.
4)Erich Zenger, Gott der Rache?, Freiburg 1994, S.17
5)L. Prijs, S.116
6)In: Siegmund Katznelson (Hg.), Jüdisches Schicksal in deutschen Gedichten, Berlin 1959, S.378
7)L. Prijs, S.178
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Leseempfehlungen:
Jürgen Ebach, Der Gott des Alten Testamentes – ein Gott der Rache? In. Ders.: Biblische Erinnerungen, Bochum 1993, S.81-93
Hans Maaß, Glaube an einen kriegslüsternen Gott? Vom Umgang mit Kriegsgeschichten im Alten Testament, in: Beitr. Päd. Arbeit, Karlsruhe 2005, Heft III, S.1-39