Ein Freund erzählte folgende kleine Szene in einem Berliner Bus: An einer Haltestelle stieg ein Mädchen von etwa 10 Jahren ein; es trug einen Schulranzen, einen Turnschuhbeutel – es sah müde aus. Der Bus war voll. Ein älterer Mann stand auf und bot dem Mädchen seinen Platz an. Das Kind bekam einen roten Kopf, setzte sich aber, dankbar. Dem Freund gefiel die Szene, wir sprachen darüber. Was war geschehen? Der alte Mann hatte den Sitz wohl so nötig wie die müde Schülerin. Es hätte ihr kaum geschadet, wenn sie die drei Stationen gestanden hätte, bis sie ausstieg. Ging es um die reale Hilfe? Es ging mehr um die Bezeugung der Höflichkeit und des Respekts. Gewiss hat das Kind in dieser Minute mehr von der Liebenswürdigkeit des Lebens gelernt als in einem Jahr Ethikunterricht. Was war so schön an dieser Szene? Es war ein kleiner Flirt des Alters mit der Jugend. Der Mann hat das Kind angesehen, hat seine Müdigkeit bemerkt. Und die Höflichkeit war sein Zeichen der Anteilnahme. Sein Empfinden und seine Geste stimmten überein.Das kann ja auch anders sein. Ich gehe mit jemandem durch eine Tür, den ich für einen ziemlichen, na, Esel halte. Ich habe mich mit ihm gestritten. Doch ich halte ihm die Tür auf. Ich tue etwas, das meiner Stimmung überhaupt nicht entspricht. Ich denke Feindseliges und übe eine höfliche Geste. Was geschieht da? Verstelle ich mich? Lüge ich? Die Geste ist im Augenblick menschlicher als ich selber. In dem Zeichen der Höflichkeit bin ich mir selber voraus. Ich übe schon, dass die Missstimmung zwischen uns überwunden werden kann.
Wenn man es schwer miteinander hat, ist die Form oft klüger als das Herz, ist die Höflichkeit hoffnungsvoller als die Unmittelbarkeit, sind Gesten klüger als fürchterliche Ehrlichkeit. Warum? Sie erinnern an ein Gestern, als das Verstehen noch gut war und hoffen auf ein Morgen, zu dem hin es wieder wachsen kann. Wer immer nur die eigene Unmittelbarkeit hat, ist arm dran… „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen“, sagt die Bibel. „Lasst sie geschehen!“, heißt es, und das geschieht auch in Formen und Gesten wie bei einem Spiel. Jeden Tag gibt es viele Gelegenheiten zu solchen kleinen Aufführungen, in denen wir spielen, wozu wir noch unterwegs sind