Abendsegen | Donnerstag, 3. Dezember

Der Kirschzweig im großen Wasserglas, das schmale Aststück vom Apfelbaum, die Forsythie – morgen früh heißen sie alle Barbarazweig, denn morgen ist der Gedenktag der Heiligen Barbara.

Unter dem vielfältigen Geäst der Überlieferung und des weit wachsenden Brauchtums liegen  Spuren der möglicherweise historischen Barbara. Im heutigen türkischen Izmir soll sie, schön, klug und mutig gelebt haben. Einer Zwangsheirat widerstand sie, lebte im Verborgenen als Christin in der Hoffnung auf das Reich Gottes, wie der Zweig es abbildet: Morgen früh ins Wasserglas gestellt, wird er zu Weihnachten erblühen – der Zweig der Heiligen Barbara.

Heilige sind Briefe aus der Ferne, die einem helfen, die Gegenwart zu erkennen. Und zu sehen, was sie hat und was ihr fehlt. Wer Heiligen gegenüber skeptisch ist, wird aber ihre Lebensgeschichten schön finden. Etwas schön finden, ist vielleicht wichtiger, als etwas für richtig zu halten.

Unser Vater in den Himmeln, zeichne uns aus mit der Geduld der Heiligen, segne alles in uns, was wachsen will, dir entgegen, dem Barbarazweig nachfolgend.

Abendsegen | Mittwoch, 2. Dezember

Es ist ein seltsamer Fest- und Freudenmonat, der Dezember. Zum Thema Feste hat sich die Berliner Autorin Katharina Haacker ihre Gedanken gemacht:

Feste – Vor Festtagen, denkt man oft daran, wie schön es werden muss. Und sollen alle glücklich sein. Das wäre nun ein merkwürdiger Zustand, ebenso wie all die Sorge darum im vorherein merkwürdig ist. Die Vorbereitungen sind nicht anstrengend, weil so viel zu tun wäre, zu kochen, zu putzen, zu schmücken, sondern, weil man sich ausmalt, wie es gelingen müsste: alles.
Die gute Laune der Gäste oder Anwesenden ist nicht nur ein Ziel, sondern dazu Garant, dass Spannungen nicht auftreten. Friede auf Erden, wenigstens für die Stunden und wenigstens hier im Haus. Gelingen macht unangreifbar. Wenn man sich nur damit abfinden könnte, angreifbar zu sein! Und auch die anderen nicht unbedingt glücklich sehen müsste, sondern vielleicht nur ungefähr heiter und wohlwollend.

Unser Vater in den Himmeln, segne unseren Schlaf, in dem die Weihnachtsbilder unserer Kindheit aufsteigen.! Gib uns die Gewissheit, Weihnachten wird kommen, wie immer: sentimental, voller Sehnsucht und mit deinem Segen völlig zwanglos
Quelle: Katharina Haacker, Darf ich dir das Sie anbieten?, Minutenessays, Berenberg Verlag Berlin 2020, o.S.

Abendsegen | Dienstag, 1. Dezember

Der Dezember hat begonnen – ein seltsamer Freudenmonat. In den Herzen der Menschen steigt ein
„kapellenloser Glaube“ auf, womit der deutsche Dichter Rilke wohl sagen will, dass für viele Menschen die Ursprungserzählung mit Hirten und Engeln, Maria und Joseph, Ochsen, Eseln und dem Kind schon ziemlich im Dunkeln liegt. Trotz alledem gibt es eine Sehnsucht nach alten Liedern, Zusammensein, Kerzenschein und Bachkantaten. Kurt Tucholsky im besten Berliner Gemisch von Spott und Gefühl sagt, jetzt sei die Zeit, den „gestauten Sentiments freien Lauf zu lassen.“ Das wird in diesem Jahr anders sein – nicht schlecht, denn als biblischer Theologe muss ich sowieso sagen: „Weihnachten ist anders!“
„Kapellenloser Glaube“, ein gutes Bild ist dem Rilke gelungen, denn in Corona-Zeiten muss oft der Glaube, die Sehnsucht nach wohlwollender Gemeinschaft mit den Menschen und Gott ohne Kapellen auskommen; und das Lied vom Schiff, das kommen wird, geladen bis an seinen höchsten Bord, wird dies Jahr wohl mehr im Freien gesungen als im Kirchenschiff…Weihnachten war schon immer anders!

Unser Vater in den Himmeln, segne mit Deinem Geist unsere Gedanken im Advent und auf Weihnachten zu, dass es neu, anders und bewegend werde!

Abendsegen | Montag, 30. November

Fragen sind sehr oft wichtiger als Antworten. Kaum hat die biblische Schöpfungsgeschichte begonnen, da fragt der Schöpfer den Adam: „Adam, wo bist du?“ „Was!“, rief der Lehrer seinen eifrigen Schülerinnen und Schülern zu, „Gott wusste nicht, wo Adam sich befand? Nein“, fuhr er fort, „So darf man die Frage nicht stellen: Gott wusste es, Adam aber nicht!
Deshalb muss der Mensch danach trachten, seine Rolle, seinen Ort, seinen Platz in der Welt zu kennen!“
„Adam, wo bist Du?“ – Die erste Frage an den Menschen – es gibt keine größere…Wo stehe ich, neben wem, vor wem stehe, an wessen Seite lebe ich? Die Frage „Wo“ ist von Anfang an wichtiger als „Wer bist du?“ „Adam, wo bist du?“ Die Antwort sagt, wer ich bin. Wo“ meint meinen Ort im Leben, in der Schöpfung, mit den Menschen und vor Gott. Mit dieser Frage beginnt die Bibel – der Rest hilft uns, eine Antwort zu finden…

Die Nacht kommt. Ich wünsche uns allen, dass wir einen Platz haben, an dem wir sie verbringen.
Zu allem helfe uns Gott, der unseren Ort segnen möge. Dass wir zu jeder Stimme, die uns fragt, sagen können: „Hier bin ich.“