Wir rechnen damit, dass der Mensch durch das Vertrauen auf Jesus, den Messias, gerecht gemacht wird, ohne ein Gesetz, das Werke verlangt.
Brief an die Römer, 3, 28
Heute und morgen wird in den Gottesdiensten der evangelischen Kirchen Deutschlands der Reformation gedacht, also der Wiederentdeckung des Evangeliums, ohne das nach dem Urteil Martin Luthers die Welt voller Tod und Finsternis wäre. Das Evangelium bringt Licht in eine vom Tod überdeutlich gezeichnete Welt. Und das ist ein lebendig machendes Licht, ein erhellendes Licht, ein wärmendes Licht. Zu diesem Licht gehört die Wiederentdeckung von der Rechtfertigung des Sünders aus Glauben allein.
Gefeiert wird aber in den Gottesdiensten nicht die Reformation, so als feierten sich die Evangelischen selbst, ein konfessionelles Trotzfest mit Überlegenheitsgefühlen. Allein ein Freudenfest kann es sein mit dankbarer Ausstrahlung für die Wiederentdeckung des biblischen Gottes, des Gottes, der gerecht ist und gerecht macht.
Recht und Gerechtigkeit kommen dann auf den Hund, wenn die Starken stärker, die Schwachen schwächer, die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Geraten hier die Gewichte aus der Waage, dann ist der Friede bedroht und der Krieg aller gegen alle unabwendbar. Luther schrieb in einer wenig erwähnten Schrift mit dem Titel wie ein Hammer „Von Kaufhandlung und Wucher“: „Was heißt das (alles) anderes als: Ich frage nichts nach meinem Nächsten. Habe ich nur meinen Gewinn und Geiz voll, was geht’s mich an, dass es meinem Nächsten zehnmal Schaden tut?“
Die Wiederentdeckung der Reformation lautete: Gott ist gerecht, und Gott macht gerecht.
„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ – so fragten die Menschen am Ende des Mittelalters voller Angst vor dem Zorn Gottes. Sie betrachteten sich – etwas salopp ausgedrückt – allesamt als Kandidaten der Höllenstrafen. Muss mich, den Sünder, der gerechte Gott nicht verwerfen? Kann ich der Hölle mit irgendwelchen Leistungen entgehen? Die Menschen gerieten unter einen ungeheuren, fast tödlichen religiösen Leistungsdruck, deshalb war die Entdeckung, dass die Gerechtigkeit Gottes Gottes Gerechtmachung des Sünders sei, das große befreiende Schlüsselerlebnis.
Heute aber fragen wir: Fühlen sich die Menschen wie vor dem kommenden Zorngericht Gottes? Ist die bange Frage noch leitend, ob Gott sie als gerechter Gott nicht verwerfen wird? Brauchen wir noch „Rechtfertigung“, wenn die zentrale Botschaft lautet: Ich bin OK – Du bist OK“ und „Hauptsache gesund!“, und die Kirchen die Parole ausgeben, man solle sich in ihnen vor allem wohl fühlen, dann scheint die Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ unendlich weit entfernt. Was heißt dann aber: Gott ist gerecht, und Gott macht gerecht, ohne irgendwelche Gesetze, die Werke fordern?
Unter welchen Gesetzen leben und leiden wir heute, so dass wir versuchen, mit allen nur möglichen Leistungen auf die rettende Seite kommen? Zuerst ist es das Gesetz des Marktes: es ist der von den Fesseln der sozialen Marktwirtschaft sich zunehmend loslösende Kapitalismus, der sich zum Weltgesetz, zur neuen Weltordnung erklärt. Dies Gesetz verhilft den Armen und Elenden hierzulande und in der Welt nicht zum Recht. Hier kommt die Gerechtigkeit unter die Räder und das Leben nimmt Schaden. Ist die Armut darin nicht vorprogrammiert? Bei den Heranwachsenden gibt es einen Taumel zwischen Allmachts- und Ohnmachtsgefühlen, wenn sie den Erfolgsmaximen, Modediktaten und Altersversicherungen folgen müssen in einer Welt, in der es nur Gewinn oder Verlust gibt.
Deshalb kann die Botschaft der Reformation heute heißen: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Es ist der Weg des gerechten Gottes, der uns gerecht macht. Es ist der Weg des Jesus von Nazareth, den er gegangen ist und deshalb können wir ihm nachfolgen. Die Rechtfertigungslehre Luthers lautet heute: Du kannst den Weg der Gerechtigkeit gehen! Du sollst den Weg der Gerechtigkeit gehen – erst die Zusage, dann der Imperativ! Gott will nichts aus uns machen, er will etwas mit uns machen – Menschen seiner gerechten Welt zu werden.