Das Rätsel Rembrandt

Eine Verbeugung zum 400. Geburtstag am 15. Juli

Das Licht kam früh. Kaum zwanzig Jahre alt, malte er sich selbst, noch voller Andeutungen und von wirbelnden Haarbüscheln über der Stirn verborgen, dafür aber vom schräg einfallenden Licht erhellt und erleuchtet. Dies Licht, „Rembrandts Licht“, schnell und hell, leuchtet aufklärend über Prinzen, Bettlern und Bürgern, Windmühlen, Bauernkaten, Bäumen und Büchern. Eine seiner alten Frauen – Lesende alte Frau, 1631, Amsterdam – vielleicht die Prophetin Hannah, wird von Rembrandt tief versunken in die Bibel gezeigt. Sein großes Vorbild Peter Paul Rubens hat auch eine Hannah gemalt bei der Kreuzabnahme. Sie ist von jenem Licht verklärt, das der Körper Christi ausstrahlt. Rembrandts Hannah liest im Licht, das die aufgeschlagene Buchseite der Bibel ausstrahlt.

Das Licht kam früh und blieb. Kein anderer Künstler hat ein so umfassendes Archiv seines Gesichtes hinterlassen wie Rembrandt, vom allerersten datierten Gemälde, der Steinigung des heiligen Stephanus, 1625, Lyon bis zum allerletzten, der Rückkehr des verlorenen Sohnes, 1669, St. Petersburg, ist er in einem vierzig Jahre währenden unerschöpflichen Selbstgespräch, dabei in unendlich viele Rollen schlüpfend, gleichsam ein „Jedermann“ auf der Bühne des Lebens. Zur Bühne gehört das Licht. Sein klügster Betrachter und Biograph, Simon Schama, schreibt in „Rembrandts Augen“ ( Berlin 2000, 744 S.): „Für Rembrandt wie für Shakespeare war die ganze Welt eine Bühne, und er wusste bis in die kleinsten Einzelheiten, nach welcher Taktik die Vorstellung lief, das großspurige und das gezierte Auftreten, die Kostüme und die Masken, das Repertoire an Gesten und Grimassen, das Gestikulieren der Hände und das Rollen der Augen, das vollbauchige Lachen und das halberstickte Seufzen. Er wusste, wie es aussah, wenn jemand verführte, einschüchterte, schmeichelte oder tröstete, sich in Position setzte oder ein Gebet sprach, die Faust schüttelte oder sich an die Brust schlug, eine Sünde beging oder bereute, einen Mord oder aber Selbstmord verübte. Kein Maler schaute je mit so schonungsloser Intelligenz und so abgrundtiefem Mitgefühl auf unsere Auftritte und unsere Abgänge und das ganze dazwischenliegende Spektakel.“
Das rätselvolle Licht, ob im aufgewühlten Meer bei Galiläa oder beim fülligen Lockenstrang und den fliegenden Kniebändern der Leidener Jünglinge.. Dort hatte er am 15. Juli 1506 das Licht der Welt erblickt, so sein erster Biograph. Wirklich? Es gibt keinen Geburtsschein, kein Taufregister. Als die erste Biographie erschien, waren die Eltern schon tot. Die Universität Leiden trägt ihn 1620 als Vierzehnjährigen ein, das könnte auch ein Fünfzehnjähriger gewesen sein; auf einer Radierung 1631 ist er ein Vierundzwanzigjähriger, das spricht für 1607. 1653 sagt er, er sei „ungefähr sechsundfünfzig“… Ein Rätsel mehr, zumal er bei der Heirat mit Saskia von Uylenburgh 1634 angibt, „gerade sechsundzwanzig“ zu sein…
Wer heute Leiden besucht und die Fahrräder-Bier-und-Buchlädenstadt durchwandert, ahnt nichts von den Wirrnissen der Zeit am Beginn des 17. Jahrhunderts. Pfarrer, Professoren und Polemiker aller Couleur stritten über die Gestalt der Republik, in der Protestanten, Katholiken und Juden um die rechte Gestalt der Freiheit kämpften. Die holländische „Kultur im siebzehnten Jahrhundert“ ( Huizinga, Stuttgart 1961) war bestimmt von Windmühlen und Wasserwegen, von Schifffahrt und Handel, städtischem Gewerbe und dem Glauben an die Wichtigkeit und Wirklichkeit alles Irdischen. „Malerei fand im Reichtum und in der Lebenslust der gutsituierten Bürgerkreise ihr Daseinsrecht. Es gab keine großen Mäzene, aber eine unbegrenzte Zahl von Kunstliebhabern. Das Gemälde hing überall: im Rathaus, in der Schützengesellschaft, im Kontor, im kleinen Salon des Patrizierhauses und in der guten Stube des Bürgerhauses, nur in der Kirche nicht.“ (Huizinga).
RHL – das Universitätskürzel und Signaturzeichen „Rembrandus Hermanni Leydensis“, hat an der Universität keine Geschichte gemacht – ob Rembrandt sich einschrieb, um dem Wehrdienst entgehen? Rasch ging er in eine Mallehre und lernte, Knoten einer unbehandelten Leinwand zu glätten, das feine Schwanzhaar vom Dachs zum Pinsel zu binden und Bleiweiß mit Kalk und Leim zur Grundierung zu mischen. Krusten, Klümpchen, Gerinnsel, Perlen, Tröpfchen, Lampenrussschwarz und Zinnoberrot wurden seine Welt. So malte er mit zwanzig seinen erblindeten alten Vater und stieß erneut auf sein Lebensthema, das Licht, das in der Dunkelheit lebt. Was nun beginnt, hat man zu Recht das „Wunder“, das „Rätsel Rembrandt“ genannt. Als er 1631 zum allererstenmal „Rembrandt f(ecit)“ – Rembrandt hat es gemacht“ in die kupferne Radierplatte ritzt – von rechts nach links, damit die Umkehrung im Druck richtig herauskam – gehörte er schon zu jener Garde, die mit ihren Vornamen berühmt wurde: Leonardo, Raffael, Tizian und Michelangelo.
Sein zerrissenes Leben ist oft beschrieben worden; die kommenden Ausstellungen in Berlin werden es auch tun. Die Diskussion über den „echten Bestand“ an Rembrandt-Werken wird fortwirken, so dass die Frage am Museumseingang „Wo ist das Bild ‚Der Mann mit dem Stahlhelm’ von Bernhard Dürer?“ noch bizarrere Formen annehmen wird. Wilhelm von Bode hat treffend gesagt: „Rembrandt hat 700 Bilder gemalt, von denen 3000 erhalten sind“. Nachdem es den Deutschen gelungen ist, Shakespeare zum dritten deutschen Klassiker zu machen, mit Rembrandt wird das nicht gelingen! Eines gewissen Langbehns unsäglicher Klassiker „Rembrandt als Erzieher“(und Deutscher) ist im Antiquariatstaub versunken.
Bibel und Welt mit den Augen Rembrandts zu sehen, kann zur lebensbegleitenden Aufgabe werden. Er war weniger daran interessiert, „Gott im Menschen zu finden als vielmehr den Menschen in Gott“( Schama). Damit entsprach er den Aufgaben religiöser Malerei: Die Glaubenden auf das Hören des Wortes Gottes aufmerksam zu machen. Einmal „Paulus im Gefängnis“, „Jeremia in der Trauer über das zerstörte Jerusalem“ und die „Kreuzaufrichtung“ „wahr genommen“ haben, und die Bibel fängt zu erzählen an. Für die Bibel wie für Rembrandt gilt „non-finito“, nie vollendet, ohne Ende, unerschöpflich.
Wir verbeugen uns.

Zur Vorbereitung:

Ausstellungen in Berlin:
Kulturforum/Gemäldegalerie am Matthäikirchplatz 8
5. August bis 5. November: Rembrandt – Genie auf der Suche; Rembrandt, der Zeichner und Rembrandt – ein Virtuose der Druckgraphik

Rembrandt und die Bibel, hg. von Maria Kreutzer, Leipzig 2003, € 14,90
Lutherbibel mit Werken von Rembrandt, Dt. Bibelgesellschaft 2006, € 19,80
Gary Schwartz, Rembrandt für junge Leser, Köln 2005, € 17,90
Henri J.M.Nouwen, Nimm sein Bild in dein Herz, Freiburg 2005, € 19,80

Dank an Ingrid Schmidt für alle Materialien