Hiob 14, 1-7.10.13-15
Der Mensch, geboren von einer Frau, kurz an Tagen und satt an Unrast. Wie eine Blume geht er auf und welkt, flieht wie ein Schatten und hat keinen Bestand.
Doch noch über den hältst du deine Augen auf und mich bringst du ins Gericht mit dir. Wer gäbe es, dass rein aus unrein kommt, kein Einziger, keine Einzige!
Wenn die Tage eines Menschen fest beschlossen sind, liegt die Zahl seiner Monate bei dir; du hast seine Grenzen markiert und er überschreitet sie nicht.
Blick weg von ihm und er könnte aussetzen, dass er sich wie ein Tagelöhner seines Tages freuen kann. Ja, für einen Baum gäbe es Hoffnung; wenn er abgehauen ist, kann er wieder ausschlagen und seine Triebe setzen nicht aus…Doch stirbt ein Mann, liegt er kraftlos da, scheidet hin ein Mensch – wo ist er dann?… Wer gäbe es, dass du mich in der Unterwelt verborgen hieltest, mich verstecktest, bis dein Wutschnauben sich wendet, dass du mir eine Markierung setztest und meiner gedächtest! Wenn ein Mann stirbt, lebt er dann wieder auf? Alle Tage harrte ich meines Dienstes, bis meine Ablösung käme. Du riefst und ich würde dir antworten, nach dem Werk deiner Hände trügest du Verlangen.
Wissenswertes zum Predigttext
„Lesen Sie ihn, lesen Sie ihn, wieder und immer wieder!“ Sören Kierkegaard
Das biblische Buch Hiob gehört unbestritten in den Kanon der Weltliteratur. Der Name Hiobs oder die „Hiobsbotschaft“ sind für viele mit einem Menschen verbunden, den mit dramatischer Gewalt rätselhaftes Unglück traf. Warum muss der Gerechte leiden? Die Frage nach Grund und Sinn menschlichen Leidens verkörpert sich in unserem Kulturkreis in Hiob. Er ist in der Bibel die klassische Deutefigur des Leidens im Schatten der Schöpfung. Hiob kennen Bibelkundige aus dem Propheten Ezechiel (Kp. 14), wo er mit Noah und Daniel ein Gerechter der „Vorzeit“ ist; kein „wahrer Israelit“, sondern ein jüngerer arabischer Verwandter Abrahams aus Uz (1. Mose 22,20f.) Sein Name – hebräisch ijjob – kann heißen „der Angefeindete/Angefochtene“; auch „Wo ist mein Vater?“ Die Fassung des uralten Themas von „leidenden Gerechten“ im Buch Hiob wird auf das 4. vorchristliche Jahrhundert datiert. Sie ist geprägt vom unlösbaren Zusammenhang einer Erzählung, den Konfliktgesprächen mit den Freunden und den Gottesreden.
„An Hiob, dem entfernten und zugleich nahen Verwandten, an diesem uralten Vetter der eigenen Vätergestalten zeigt die israelitische Hiobdichtung ein Problem der eigenen ‚Theologie’ als Menschheitsproblem. Das ‚Hiobproblem’ als Frage, wie es mit dem Glauben an Gott vereinbar sei, dass vor und mit und nach Hiob Menschen leiden wie Hiob, dass es das Leiden Unschuldiger gibt, muss offen bleiben, solange Menschen leiden wie Hiob.“ J. Ebach .
Predigtanstöße
„Man wird sich zunächst bewusst machen müssen, dass Hi 14,1-6 der einzige Text aus dem Hiobbuch in der neuen Perikopenordnung ist. Einmal Hiob in sechs Jahren – das sollte Anlass sein, hier nicht nur nicht auszuweichen, sondern zu versuchen, die Hiobfrage etwas umfassender anzugehen“, in der Zustimmung zur Mahnung Peter Weltens ist die Predigttexterweiterung (Claus Westermann) begründet, vermag sie doch etwas vom Gesamtzusammenhang( 12,1–14,22) eines der Konfliktgespräche Hiobs mit seinen Freunden aufzuzeigen: Sind es auch gescheiterte Dialoge, in denen er sich standhaft weigert, sein Unglück auf eigene Schuld zurückzuführen, wie seine Freunde ihm unentwegt nahe legen, so gehören sie doch in eine Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft war stärkend, als die Freunde ( wir stehen ihnen näher als wir meinen!) schwiegen, sie wurde zur Anfechtung als sie – lösungsversessen wie manche religiöse Menschen – zu Leiderklärungstheologen wurden.
Der größere Zusammenhang vermag zu zeigen, dass die Grundstruktur der nervös-zerrissenen Rede Hiobs die Flucht von „Gott zu Gott hin“ ist. Diese Grundstruktur biblischen Betens: Gott an Gott erinnern, Gott um Gott bitten, von Gott zu Gott sich flüchten, gewinnt ihre Spitze in dem Trotzbekenntnis: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“. Da erinnert Hiob Gott an Gott, er beschwört ihn geradezu: „Erweise dich doch wieder als der, als den ich dich erfahren habe!“ Ebenso sagt es Schalom Ben-Chorin mit seinem dreimaligen „Von dir zu dir!“ im theologisch dichten, aber selten gesungenen Lied EG 237. Es ist auch der einzige Weg aus dem Predigtext, in dem der Gedanke eines Lebens nach dem Tode ausgeschlossen erscheint, zu einer Botschaft Hiobs zu gelangen, die keine Hiobsbotschaft ist! Natürlich geht es anders, Fulbert Steffensky hat es erlebt: „Es stört mich bei vielen Predigten: die Erwartbarkeit der Aussagen. Wenn der Pfarrer eine theologische Aporie aufwirft, etwa wenn er über das Leiden der Unschuldigen spricht, brauchen wir nicht zu erschrecken. Er wirft nur eine Frage auf, die er sogleich beantworten wird. Wir leiden in unseren Predigten an Stimmigkeitszwängen, an einer Systematikmanie. „Was Gott tut, das ist wohl getan“ kann ich zwar singen und beten. Aber in der Predigt hätte ich da noch ein paar Fragen.“ Deshalb ist Weltens Vorschlag ernst zu nehmen: Angesichts einer um sich greifenden Plauderkultur Hiob lesen, Hiob hören, Hiob aushalten lernen! Im Griff seiner Vergänglichkeit (1-3) glaubt er sich Gott gegriffen, aber nicht begriffen. Er, der schwache Erdensohn, duckt sich nicht, will den zuschlagenden Gott nicht akzeptieren!
Es gibt nach Steffensky zwei Würden, die zu entfalten ich bei einer Predigt von Hiob empfehle: Die Würde der Untröstlichkeit und die Würde der unbewiesenen Behauptungen. Die Würde der Untröstlichkeit kommt nicht darüber hinweg, was dem Leben angetan wird. Sie ist fähig zu vermissen: Die Gerechtigkeit, das Augenlicht der Blinden und die Sprache der Verstummten, die Reich Gottes. In der Fähigkeit, Gottes Gegenwart zu vermissen, ruht die Würde der Untröstlichkeit. Es gibt eine andere Würde, die Würde der unbewiesenen Behauptung: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Einmal wird es sein! Gott sieht, hört, heilt, tröstet und bringt die Toten zum Leben, umarmt Hiob. Hiobs Klage ist Einklage. Vor Gott einzuklagen, dass die Hiobs dieser Erde ihn wieder loben werden. Die Würde der Untröstlichkeit und die Würde der unbewiesenen Behauptungen sind oft ein lebenslangen Ineinander. Ein Ineinander wie es der andere Gottesstreiter, Jakob am Jabbok, erlebt hat.
Jakob und Hiob begehren von Gott, dass er ihnen in der Unkenntlichkeit kenntlich wird und in der Feindschaft zum Freund werde, dass die Schatten der Schöpfung weichen und die Morgenröte wie das Osterlicht erstrahle.
Ein Wort zur Sache
„Was sind doch die sämtlichen alten und neuen Skeptiker, Pessimisten und Religionsspötter und Atheisten für arglose, gemütliche Gesellen neben diesem Hiob! Die konnten und könnten sich mit einem ‚Gott’, den sie als ihren Gott: gar nicht kannten, wohl ohne erhebliche Kosten ‚auseinandersetzen’. Hiob konnte das überhaupt nicht tun. Was er (Hiob) von Gott begehrt, ist nicht, dass er ihm irgendwo außer und neben, sondern dass er ihm in seiner Unkenntlichkeit kenntlich, dass er ihm gerade in seiner Feindschaft als der ihm vertraute Feind offenbar werde.“ Karl Barth
In: DIE KIRCHE, 12. 11. 2006