Worte für den Tag | Donnerstag, 30.11.2006

Die Bibel erzählt vom Propheten Jona; der der Stadt und dem König von Ninive den Untergang ansagte. Der König rief ein Fasten für Menschen und Tiere aus und sagte: „Wer weiß! Vielleicht lässt es sich Gott gereuen und wendet sich ab von seinem Zorn, dass wir nicht verderben!“ „Wer weiß!“, sagte der König; das gefiel meinem Freund sehr gut. „Wer weiß“ – das sollten auch die Christen öfter sagen, meinte mein Freund. Denn er beklagte den christlichen Gottesdienst und die Predigten: alle Aussagen seien irgendwie erwartbar. Käme das Wort Sünde, folge ihm sofort das Wort Vergebung, fiele das Wort Schuld, folge ihm die Gnade auf dem Fuße. Und immer sei die Predigt auf Jesu Seite. Es gäbe kein „Wer weiß!“, kein Zögern, keinen langsamen Schritt. Seine Schlussbemerkung versetzte mir einen Stich: „Vielleicht sind die Predigten deswegen so langweilig, weil ihr Gott zu früh recht gebt“.

„Nein“, antwortete ich, „ Lies doch die Bibel, die Psalmen, lies vom Propheten Jeremia, von Moses, von Hiob, von Paulus, sie geben Gott nicht ‚zu früh recht’, es wird gezetert, widersprochen und gestritten! Sogar die Engel widersprechen Gott!“ Nun, das letztere musste ich zurücknehmen, es stand nicht in der Bibel, sondern in der jüdischen Bibelauslegung, aber es interessierte ihn sehr. Ich erinnerte mich, es ging um die Frage: „Was ist der Mensch?“
Als Gott die Engel fragte, ob er den Menschen erschaffen solle, bildeten sich Parteien unter ihnen. Eine sagte. Er soll nicht erschaffen werden, die andere, er soll erschaffen werden! Der Engel der Liebe sagte „Ja“, denn der Mensch wird liebesfähig sein. Der Engel der Wahrheit sagte „Nein!“, der Mensch wird lügen. Der Engel der Gerechtigkeit war für den Menschen, er werde Gerechtigkeit üben können. Der Engel des Friedens war dagegen, der Mensch wird voller Streitsucht sein, sagte er. Und alle hatten sie natürlich recht: Der Mensch ist zur Liebe und zur Lüge fähig, kann gerecht sein und den Frieden brechen – ein Abstimmungspatt! Die Geschichte hat eine wunderbare Pointe: Gott fragt die Engel, was ihre Diskussion solle, er habe in einem unbemerkten Augenblick den Menschen bereits erschaffen. In jüdischer Tradition heißt es: „Alle Dinge hat Gott fertig geschaffen. Den Menschen aber schuf er auf Hoffnung hin“. Wer weiß, was ihm noch möglich ist?