Worte für den Tag | Mittwoch 29.11.2006

Sie weiß nicht mehr, wie alt sie ist, wie sie heißt. Sie kennt ihre Kinder und Enkel nicht mehr, und wenn sie das Haus verlässt, findet sie den Heimweg nicht. Sie kommt nicht mehr ohne Hilfe ins Bett, das Essen wird ihr teilweise eingegeben, sie spricht keinen ganzen Satz. Aber sie kann noch gehen, braucht weder Stock noch Rollator. Letzte Woche ist sie gestürzt. „Ich tippe auf Oberschenkelhalsbruch“, sagte der Hausarzt, „muss geröntgt werden.“ „Ist das wirklich nötig?“, fragte ihr Sohn. „Wenn sie wieder gehen können soll!“. „Aber wird sie das können?“, fragte die Schwiegertochter. „Wir hoffen es“, sagte der Arzt. Sie wurde ins Krankenhaus gefahren, ratlose Furcht stand auf ihrem Gesicht. „Oberschenkelhalsbruch“, sagte der Röntgenarzt, „Operation muss sein!“ „Wirklich?“, fragte der Sohn. „Wir können die Frau doch nicht einfach liegenlassen“, erwiderte der Arzt. „Was geschähe dann?“ „ Sie würde rasch eine Lungenentzündung bekommen und sterben“. „Du willst doch das Beste für deine Mutter“, sagte seine Frau. Er sah sie an. „Wenn ich nur wüsste, was das Beste ist“

Die Antworten sind schwer geworden. Was spricht für, was gegen die vom Arzt vorgesehene Operation? Wer hat über das Vorgehen zu entscheiden? Sollen hohes Alter und fortgeschrittene geistige Verwirrung eine Rolle spielen bei der Entscheidung, ob operiert werden soll oder nicht? Wenn wir immer wüssten, was „das Beste“ ist! Eines wissen wir:
Im letzten Lebensabschnitt wird die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens und as Angewiesensein auf die Unterstützung durch andere besonders deutlich. Auf andere angewiesen sein ist ein Grundmerkmal menschlichen Lebens, bloß wird uns das am Lebensende in der Regel stärker bewusst und erfahrbar. Deshalb spielt jetzt das Prinzip der Solidarität oder Fürsorge eine zentrale Rolle. Vor allem in der verständnisvollen Begleitung und der kompetenten Betreuung im Leiden, im Alter und beim Sterben. Menschen, die der Hilfe bedürfen, soll immer mit dem Ziel einer möglichst guten Lebensqualität geholfen werden. Es geht um ein doppeltes Bemühen: Über und Schaden zu vermeiden und Gutes zu tun, also darauf zu achten, dass die Schmerzbekämpfung, die Schmerzlinderung wirklich geschehen, und alles zu tun, was die Angst vor dem Verlust der Würde am Lebensende nehmen kann. Auch geschwächte und gebrochene menschliche Würde bleibt Würde.