DAS WORT – 4. Februar 2007

Seid stark und euer Herz sei mutig – alle, die ihr euch auf Gott verlasst
Psalm 31,25

Er war erst sechzig, als es ihn erwischte: Schlaganfall, rechtsseitige Lähmung, Sprachverlust. In der Rehabilitation tat man alles – mit wenig Erfolg. Gehen war unmöglich, sprechen konnte er bloß ein paar schwer verständliche Worte, die rechte Hand begann sich zu verbiegen – der Eintritt ins Pflegeheim war unumgänglich.
Da gab es einen Trotz in ihm, eine Trotzenergie. Er hatte genaue Vorstellungen von dem, was er brauchte: Unbedingt einen motorisierten Rollstuhl, um selbständig ausfahren zu können.
„Ist das nicht zu gefährlich?“, fragte die Pflegedienstleiterin.
„Was er im Kopf hat, setzt er auch durch“, antwortete seine Frau, aus Erfahrung.
So war es – er gab nicht nach, bis das Gerät vor ihm stand. Er ließ sich hineinsetzen und begann im Haus und im Garten herum zu kurven. Bald fuhr er auch in den Ort. Und – baute prompt einen Unfall, stieß mit einem Auto zusammen. Das bekam ein paar Kratzer am Lack und er ein paar Schrammen im Gesicht und an den Armen.
„Wie kann man einen Menschen in diesem Zustand allein auf die Straße lassen!“, brummte der Polizist, der ihn ziemlich erstaunt zurückbrachte.
„Wir können ihn ja nicht einsperren!“, sagte die Pflegedienstleiterin.
„Wie ich ihn kenne, wird er bald wieder ausfahren“, seufzte seine Frau.
Mit Verbänden an Kopf und Armen blickte er aus dem Bett zu ihr empor und lachte und nickte.

Eine Geschichte zum Thema „Freie Fahrt!“, aber doch mit vielen Spannungen: Da hat einer den Anspruch auf Freiheit und Eigenverantwortung einerseits, und da gibt es die Fürsorgepflicht, den Schutz für die Sicherheit der anvertrauten Patienten andererseits. Und es gibt den Polizisten, verärgert, aber erstaunt – wie kann man ihm gegenüber argumentieren? Die Grenze zwischen dem Risikoverhalten eines Heimbewohners und der Fürsorgepflicht des Heims ist schwer zu bestimmen. Doch darf ein urteilsfähiger Patient in seinem Bewegungsraum eingeschränkt werden, wenn er über die Gefahren unterrichtet worden ist? Er darf es nicht, auch nicht mit den allerbesten Absichten! Jeder Mensch hat den grundsätzlichen Anspruch, in seiner Würde und Selbstbestimmung geachtet zu werden. Die Macht der Ärzte und der Pflege wird dadurch begrenzt.

Unbegrenzt dagegen soll die trotzige, kräftige Ermutigung zum Leben sein, wie das Wort aus dem 31. Psalm sie einschärft: Seid stark und euer Herz sei mutig! Das Herz steht in der Bibel für den ganzen leidenschaftlichen Menschen, seinen Lebenswillen, seine Kraft zum Atmen und zum Auskosten seiner Vitalität! Gerade der Mensch, der weiß, wie verletzlich sein Leben ist, wie angreifbar, wie schnell zu erschrecken, wie preisgegeben er sich oft fühlt, er hört diesen erfrischenden Satz: Seid stark und euer Herz sei mutig! Wenige Verse vorher hört man die Klage eines unglücklichen Menschen: „Ich bin wie ein zerbrochenes Gefäß!“ Ein Bild, aber jeder versteht es. Nach einem Schlag-Anfall ist der Mensch ein zerbrochenes Gefäß. Und in diesem Kampf zwischen der lähmenden Angst um das Leben und der wachsenden Müdigkeit im Widerstehen, ist es gut, ist es lebensnotwendig, ein Wort des Trotzes zu hören: Seid stark und euer Herz sei mutig, alle, die ihr euch auf Gott verlasst! Sich auf Gott verlassen, das ist nichts anderes als zu sagen: Mein verletzliches Leben hängt an dir, möge deine Hand mich halten!