DAS WORT | 22. November 2009 | RBB 88,8

Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen…Kann es eine größere Hoffnung geben? Kann es eine größere, eine gewissere Zuversicht geben, dass die Verhältnisse in dieser Zeit und in dieser Welt nicht das letzte Wort behalten? Dass Gewalt, Hunger und Terror ein Ende haben werden und eine neue Welt kommen wird? Kann es eine größere Hoffnung geben als diese aus dem vorletzten Kapitel der Bibel? Wann schreit man nach der neuen Erde, nach dem neuen Himmel, nach einem Gott, der alle Tränen abwischen wird? Als die Christen im Römischen Reich die Verbeugung vor den Machthabern, den Cäsaren, verweigerten, da warf man sie den Löwen vor oder in die  Gefängnisse – aber die Geschlagenen fingen an zu träumen, und wahrscheinlich kennen sie allein die Gewissheit einer neuen Erde. Einer Welt, in der der Cäsar nicht mehr alles ist, die Wirtschaftsordnung nicht mehr alles ist, kein System mehr alles ist – denn Gott ist alles in allem.Wenn wir Christen heute auch nicht zu den Hauptschreiern nach dem Land der abgewischten Tränen gehören mögen – gelegentlich gehört jeder von uns dazu! – so haben wir doch ein Buch, in dem von solchen Schreien erzählt wird und von den Menschen, die sie ausstoßen – „ein neuer Himmel, eine neue Erde!“

Wir hören von den großen Hoffnungen für alle Menschen und den Verheißungen für jeden Einzelnen: Keine Tränen mehr, keine Schmerzen, kein Leid. Und Gott mitten unter uns – niemandem mehr fern, keinem und keiner mehr fremd. Welche Aussichten! Sind wir ihnen denn gewachsen? Spricht denn das Leben, das wir kennen, nicht dagegen? Auch in diesem Jahr haben wir Menschen in ihrem Sterben begleitet, sie zu Grabe getragen, sind erschüttert über die Hungertoten in Afrika, die Terrortoten überall, die Drogentoten, die AIDS-Toten, die seelisch wie Gestorbenen, die alles unberührt lässt, was um sie herum geschieht. Diesen Bildern vom neuen Himmel, der neuen Erde, von einem Gott, der abwischen wird alle Tränen von unseren Augen, der vom Tod, vom Leid, vom Schmerz sagt: Sie werden nicht mehr sein! Sind wir diesen Worten und Bildern gewachsen?

Christen können und sollen hoffen, sich ein großes Ziel ihres persönlichen Lebens und dem der ganzen Menschheit vor Augen zu halten und im Herzen zu verankern. Christen brauchen sich nicht zu scheuen, Sehnsuchtsmenschen zu sein. Sie können sich  fragen lassen, ob sie denn Romantiker seien. Sie begnügen sich nicht mit der Losung: Was ist, das ist – so arm hat Gott uns Menschen doch nicht geschaffen! Er hat unsere Seelen zum Träumen begabt und unseren Geist zum Entwerfen von kleinen und großen Zielen. Die Bilder vom neuen Himmel und der neuen Erde wecken uns auf aus der Verschlafenheit des so genannten Realismus.

Mit etwas ganz Anderem fängt die neue Welt an: Nämlich mit Gottes Kampf gegen unsere Resignation, unser Misstrauen in die Zukunft, das lieber der Volksweisheit traut: Hoffen und Harren macht manchen zum Narren, als der Zukunftsliebe Gottes. Gott ist der Grundstein der neuen Welt, wenn Menschen so reich an Zukunftswillen sind, dass sie der alten Welt keine Träne nachweinen. Ich weiß, wir können’s noch nicht. Das Alte hält uns noch fest. Aber wir können uns schon freuen, über das, was gelungen ist. Es gibt eine Friedensdekade, es gibt eine Aktion Sühnezeichen, es gibt ein Kirchenasyl, es blüht in diesem Haus Kirche schon viel. Alles zu wenig, sagen viele. Sie haben Recht. Aber wir sind auch für unseren Mut verantwortlich, wahrzunehmen und zu sehen, was schon blüht. Die Kernbotschaft lautet: Es wird nicht immer so weiter gehen! Das, was angeblich nun einmal so ist, wird nicht das letzte Wort behalten. Weder muss Leid sein, noch muss Tod sein, noch muss Herrschaft sein. Die gegebenen Verhältnisse sind nicht gottgegeben, denn die Stimme Gottes ruft: „Sieh, ich mache alles neu!“