Wort für den Tag | Freitag, 3. August 2012

Im Jahr 1972 wurde Janusz Korczak der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Hatte der Arzt und Schriftsteller eine „Erziehung zum Frieden“ entwickelt? Nein, „Erziehung zum Frieden“ – er hätte den Kopf geschüttelt. Nein, aber er hatte erfahren, was „Erziehung in einer friedlosen Welt“ tun kann, in einer Welt der Verachtung von Menschen, die anders und schwächer sind, in einer Welt der Ungeduld der Erwachsenen mit den Kindern.
„Erziehung in einer friedlosen Welt“ – der 33jährige glänzend arrivierte Kinderarzt gab seine Praxis auf und übernahm die Leitung eines Waisenhauses. Er hatte erkannt: Es ist ein Hauptfehler zu meinen, das Kind werde erst ein Mensch. Nein, es ist einer. Er ist nur schwächer als wir. Hier liegt für Korczak die Quelle der Friedlosigkeit. Er plädierte für eine Selbstverwaltung, in der die Kinder ihre gemeinsamen Angelegenheiten erkennen und regeln. Sie erfinden Formen des gegenseitigen Einvernehmens. Was gehörte dazu? Eine Tafel für Bekanntmachungen, Fragen, Bitten, Warnungen – von allen an alle. Ein Briefkasten, in den all das kam, was das Herz belastete und mal aufgeschrieben werden musste. Eine Schulzeitung, in der Meinungs- und Pressefreiheit herrschte. Und vor allem: ein Gericht mit einer unabhängigen Rechtssprechung und Konfliktbearbeitung. Dieses Gericht „muss die Stillen schützen, damit ihnen die Aggressiven und Aufdringlichen kein Unrecht zufügen; es muss die Schwachen schützen, damit die Starken sie nicht quälen.“ Der Erzieher überlegt und berät mit den Kindern. Sie wissen oft besser, wer Recht hat oder inwieweit einer Unrecht hat. Die Kinder haben das Recht, auch Erwachsene, auch das Personal vor Gericht zu bringen. Das Gericht dient vor allem dazu, den Despotismus der Erzieher aufzuheben. Es gibt 99 freisprechende Paragraphen.
Erziehung in einer friedlosen Welt? Ja, Zutrauen gewinnen, dass man Menschen verstehen und beeinflussen kann. Und damit den Anspruch weitertragen, dass Gemeinschaft verständlich und dienlich ist. Wem dies zur Grunderfahrung wird, der wird die Ungeheuerlichkeit unserer friedlosen Welt nicht fügsam hinnehmen. Korczaks Buch hierüber heißt im Deutschen: Wie man ein Kind lieben soll. Das polnische Original lautet: Wie liebt man ein Kind…