Der Anfang des menschlichen Lebens liegt offen zutage: Wir sehen: ein zerknittertes rotblaues Menschlein tritt oder rutscht oder kämpft sich aus dem Körper einer Frau heraus; manchmal schnell und schmerzlos, manchmal dauert es Stunden und tut der Gebärenden sehr weh.
Bei der Geburt wird zwar die Nabelschnur durchtrennt, ein eigener Mensch kommt zur Welt, dennoch bleibt der menschliche Neuling abhängig. Abhängig von Luft, Licht, Wasser und Nahrung, von der Fürsorge der Mitmenschen, von Liebe und Schutz, davon, dass andere Menschen für ihn oder sie unendlich viele verschiedene Dinge tun: Gemüse anpflanzen, Essen kochen, Häuser und Brücken bauen, Gesetze schreiben, Bankkonten verwalten. Später schenkten uns die Eltern Wörter wie „Gott“, „Liebe“, „Leben“, „Hunger“ und Durst“. Und irgendwann konnten wir alleine stehen, gehen, miteinander sprechen, wurden das, was man „selbständig“ nennt.
Davor liegt eine lange Zeit des Werdens – und dieser konkrete Anfang, nämlich die Geburt selbst, die alle Menschen durchlebt haben. Über die Geburt wird wenig nachgedacht, auch die christliche Tradition macht darum einen Bogen. Sie weiß in (.) gelehrten Büchern viel zum Tod zu sagen und nennt uns Menschen auch „Sterbliche“, aber zur Geburt und zum Geborensein ist sie sehr still.
Wir feiern zu Weihnachten die Geburt des Erlösers so intensiv wie Karfreitag und Ostern, aber wir denken wenig über sie nach. Es gibt viele, vielleicht zu viele realistische Bilder vom Sterben Jesu, nicht aber von seiner Geburt. Auf den Weihnachtsbildern ist das Jesuskind immer schon da. Neun Monate war es im Körper einer Frau – so große Nähe, so viel Abhängigkeit scheint vielen gelehrten Männern in den Kirchen peinlich zu sein…
Es war eine Frau, die nicht gläubige Jüdin Hannah Arendt, die über unser Geborensein in besonderer Weise nachdachte. Sie nannte das Geborensein „ein Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und von dem Verderben rettet, das als Keim in ihm sitzt…Dass man in der Welt vertrauen und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten ‚Uns ist ein Kind geboren!’“ Ob uns heute der Blick in einen Kinderwagen nachdenklicher macht?