Worte für den Tag | Donnerstag, 14. März 2013

Ein Krankenbesuch steht mir bevor. Ein Kollege, dem ich davon erzähle, sieht mich mitfühlend an und sagt: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Dann stehe ich vor dem riesigen Krankenhauskomplex und denke an die vielen, die damit leben müssen, dass sie nicht gesund sind! Und die nie mehr richtig gesund werden! Sollen sie sagen: Ohne Gesundheit ist alles nichts? Während ich die langen Flure entlang wandere, geht mir durch den Kopf: Wir sind vielleicht nur dann gesund an Leib und Seele, wenn Gesundheit nicht alles für uns ist. Ich verachte nicht das Können und die Verheißungen moderner Medizin. Im Gegenteil: Weil die Medizin heute so tüchtig und erfolgreich ist, können mehr Menschen mit Beeinträchtigungen oder im Schatten einer Krankheit leben.
Ich stehe vor dem Zimmer, in dem mein kranker Freund liegt, und muss einige Minuten warten, weil die (.) Pflegekräfte noch zu tun haben. Ich darf hinein und nach der Begrüßung kommt er meinen Fragen zuvor und sagt: „Bevor du fragst, erzähle ich Dir, was ich neulich auf dem Flur gehört habe: ‚Wie geht es Ihnen?“ ‚Ich weiß es nicht, meine Befunde sind noch nicht da.’ Ich bemühe mich noch, mein Befinden und die Befunde auseinander zu halten!“
Jetzt ist es an mir, zu fragen, aber – was frage ich? Ich kann mich nach seinem Befinden erkundigen – „wie geht es dir?“ – oder nach dem Befund der Ärzte: „was hast du?“
Ich versuche es anders: „Was fehlt dir?“ Ich weiß es von mir selbst: Es fällt uns schwer, das Leben in der Krankheit zu akzeptieren, wir alle haben eine große Sehnsucht nach uneingeschränkter Gesundheit, nach dem voll sich entfaltenden Leben. Auch die Bibel ist voll von dieser Sehnsucht. Jesus heilt Kranke und deutet seine Heilungen als kleine Erlösung. Mit jeder Heilung bricht das Reich Gottes an. Jedes Aufstehen ist eine kleine Auferstehung. Die christlichen Gemeinden bitten Gott für die Kranken, dass er die Kranken „auferstehen“ lässt, nämlich aufstehen von ihrem Krankenlager.
„Was fehlt dir?“ Am Ende des Gesprächs sagt mein Freund: „Ich sehne mich danach, dass die Wunden heilen, dass die Angst vergeht und die Kraft wieder da ist.“ Die ernste Stationsschwester kommt herein, ich gehe. Auf dem Flur höre ich sie drinnen laut lachen. Wie mag er sie begrüßt haben?