Worte auf den Weg | Donnerstag, 21. März 2019

Ein Leitwort des Europawahl-Kampfes heißt: Gerechtigkeit! Zu Recht, denn die Menschen wollen wissen, welche Gestalt Gerechtigkeit, Großzügigkeit und Solidarität annehmen müssen, damit wir eine menschliche Gesellschaft bleiben. Gerechtigkeit – an eine biblische Tradition will ich erinnern, die aufstrahlt in folgendem Wort: „Ein Gerechter ist wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht ohne Wolken, wenn vom Glanz nach dem Regen das Gras aus der Erde wächst. “ Das heißt: Gerechtigkeit macht schön!

Die Bibel hat den Mut, Schönheit und Gott nicht zu trennen: „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes, Licht ist sein Kleid.“ Die Schöpfung ist schön, die bezaubernde Schönheit der Rosenblüte, die Blütenblätter des Storchenschnabels, das tiefe Blau der Clematis, sie alle sind schön im Zusammenspiel von Regen und Licht. Das Zusammenspiel macht auch die Schönheit zwischen Menschen aus: „Brich dem Hungrigen dein Brot, dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte.“ Gerechtigkeit lässt Menschen, die teilen, schön werden…

Was ist schön? Das Gesicht des Menschen, der sich uns in Liebe und Zärtlichkeit zuwendet, das Gesicht der Mutter, wenn wir aufwachsen, der Freundin, wenn wir erwachsen werden, des Lebensgefährten, wenn die Jahre uns prägen, das Gesicht des fremden Flüchtlings, dem wir helfen konnten, die leuchtenden Augen der kleinen Familie, für die wir eine Wohnung fanden. Immer, wenn Menschen einander gerecht werden, leuchten Zuwendung und Schönheit auf.
Die biblische Gerechtigkeit meint nicht jene Dame mit der Waage in den Händen und der Binde vor den Augen – im Gegenteil:
Gerechtigkeit meint offene Augen, ausgestreckte Hände, Arme zum Festhalten – schön werden wir, wenn wir einander gerecht werden. Wie selten gelingt es, dass die „Sonne der Gerechtigkeit“ über Menschen aufgeht. Und doch: „Menschen gerecht werden“, daran kann man arbeiten, jeden Tag. Der Berliner Theologe Helmut Gollwitzer hat gesagt: „Die Welt ist schrecklich und die Welt ist schön.“
Es ist das „und“, das wir wählen und nicht aufgeben dürfen.

Anhören