Worte auf den Weg | Freitag, 20. März 2020

Heute ist ein großer Tag für viele Orte im süddeutschen Raum – ein schöner Anlass zur Abwechslung, der nicht vergessen werden sollte: Die dichterische Stimme der Wälder und Flüsse, der Städte und Studierzimmer, Friedrich Hölderlin, wird erinnert, gefeiert und gelesen. Sein Geburtstag jährt sich zum 250. Male. Aus dem vorfotografischen Jahrhundert blickt uns in einem Pastell-Bild im Seitenprofil ein junger Mann an, lockere Rüschen, freundlicher Mund, offene Augen, ein uns zugewandter Mensch, eine der wichtigsten und schwierigsten Stimmen Deutschlands, Theologe und Dichter mit überwältigender Sprachmusik. Ihm zu danken, ihn zu ehren, lese ich das schönste Gedicht der deutschen Literatur: Friedrich Hölderlin

Hälfte des Leben

mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
und trunken von Küssen,
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
klirren die Fahnen.

Eine spätsommerliche Szene mit Wärme, Fruchtbarkeit und Farbigkeir steht einem Absturz in Entbehrung, Kälte und Sprachlosigkeit in diesem Gedicht gegenüber. Dem Blick auf die sommerlich-heitere Natur
folgt eine Klage, die sich in der Kälte der winterlichen Umgebung verloren sieht. „Weh mir…“, eine persönliche Stimme, ein „Ich“ spricht buchstäblich aus der Lücke, aus der Mitte, aus der leeren Stelle zwischen den Strophen. Das Leben ist zerteilt, zerrissen – wie unsers gerade auch: während draußen der luftige Frühling naht, hat die Krise uns fest im Griff – droht die zweite Hälfte winterlich, kalt und sprachlos zu werden? Ein Abgesang auf der Abwärtsbahn in den ausgedehnten Winter ohne Blumen und Trunkenheiten des früheren Lebens?
Nein, das ist keine midlife crisis – es ist der Versuch, über die eigene Lebenszeit zu sprechen und wie das Leben am Ende insgesamt ausgeht. Hat der klirrende Winter das letzte Wort? Geht einer mit im finsteren Tal? Noch ist eine Hälfte – noch haben wir Zeit. Können mitgehen und einander viel geben. Gerade jetzt.

Nachweis: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Gedichte….s.o. 321.
Sonnabend, 21. März 2020

Die biblischen Psalmen gehören zu den wirkungsvollsten Texte der Heiligen Schrift. Sie sind in Versen gehalten wie ein Gedicht und werden in einem vielfältigen und beweglichen Rhythmus gesungen.
Mit poetischer Schönheit und lebhafter Musikalität wird vor und von Gott gesungen. Mit diesen Psalmen ist der Dichter Friedrich Hölderlin groß geworden, dem wir in seiner Geburtstagswoche gefolgt sind. Ihnen ist er, wenn auch kirchenunwillig, treu geblieben. Sie haben seinen Hang zum Gesang gestärkt. Das biblische Versmaß dieser Lieder will der Berliner Theologe Lorenz Wilkens in dieser Übersetzung wieder neu zu Gehör bringen. Worte wie ein schützender Umhang. Zum Einhüllen. Zum sich Bergen. Für die Abwehrkräfte:

Psalm 91
Wen der Höchste schützt,der ruht in Herrschers Schatten
und spricht zu ihm: “Meine Zuflucht, meine Burg,
mein Gott, dem ich vertraue.“
Denn er wird dich retten
vor der Schlinge des (?) Jägers,
vor Pest und Tod.
Mit seinen Flügeln deckt er dich,
du findest Zuflucht dort;
dein Schild ist seine Treue.
Fürchte nicht den Schrecken der Nacht,
am Tage nicht den Pfeil,
die Pest nicht, die des Nachts einherschleicht,
die Seuche nicht, die mitags dreinschlägt.
……Denn er gebietet seinen Engeln dich zu behüten
auf allen deinen Wegen.,
mit ihren Händen dich zu tragen,
damit dein Fuß an keinen Stein stößt.
„Ich will ihn retten, weil er zu mir hält,
ihn schützen, weil er meinen Namen nennt.
Und wenn er zu mir ruft, so höre ich,
bin bei ihm in der Not, befreie ihn und bringe ihn zu Ehen,
sättige in mit langem Leben;
für immer soll er sehen, wie ich rette.