Abendsegen | Donnerstag, 13. August

Ein warmer Abend im Rund des Gartenlokals, Masken abgenommen, Stühle im bekömmlichen Abstand, die Getränke kühl – ein Politikstudent feierte sein Examen – drei Generationen saßen da, fast auf der Grenze zwischen Babelsberg und Zehlendorf. Jemand warf ein: „Und der 13. August 1961, was war hier los?“ Das Gespräch brach ab, Verlegenheit zog ein. Achselzucken, was soll das am Examensabend? 13. August? Keine Ahnung. So blieb es: Keine Ahnung! Nach dem 17. Juni wollte ich nicht mehr fragen…
Der 13. August – ein hässliches Datum. Die rohe und hässliche Mauer war ein roher und hässlicher Schlag gegen das gemeinsame Leben in der Stadt; Terror als Bauwerk. Es gab Menschen, die nicht in Schockstarre verfielen; hoffende, einfallsreiche, listige, pfiffige, ungebrochene Menschen, bis die Mauer endlich umbrach. Verzagt und trotzig zugleich, bekümmert und unbekümmert zugleich, sahen das Wirkliche und das Mögliche zugleich. Sie lebten für das „und“. Die Mauer fiel dank der Menschen mit dem Möglichkeitssinn und der Trotzenergie.
Darf man sie vergessen?

Unser Vater, gib uns befreiende Gedanken zur Nacht, zur aufatmenden Erinnerung, dass der 13. August kein Alptraum blieb und ein stärkendes Gedenken des trotzigen Widerstands!

Abendsegen | Mittwoch, 12. August

Die ersten Schultage sind vorüber. Ersehnt, gefürchtet, aber auch geplant, überlegt und von allen
Beteiligten mit Spannung erwartet. So lange es Menschen gibt, gibt es Schulsorgen! In der
jüdisch-christlichen Tradition heißt es so liebevoll wie provokant: „Die Zukunft der Welt ruht auf dem Atem der lernenden Schulkinder!“. Anders als in dem dummen Wort von der lärmenden Judenschule bauen hier die mündlich lebhaft lernenden Kinder die künftige Gesellschaft. Die gewichtige Zukunft ruht auf dem leichten Atem der Kinder. Verstummt dieser Atem– was wird mit der Zukunft ? Deshalb hier die Geschichte von Fanny:
„“Fanny, wach auf“, die Mutter klopft frühmorgens an die Tür. Stille, dann verschlafen: „Ich mag nicht!“. Erneutes Pochen: „Du musst in die Schule!“ „Ich mag nicht!“, klingt es klagend, „ach, es ist so langweilig, die Kindern ärgern mich, sie sind so anstrengend!“ Nun hat die Mutter genug: „Drei Gründe, weshalb du in die Schule gehen sollst: Erstens ist es deine Pflicht, zweitens bist du 34 und drittens, Fanny, bist du die Lehrerin!“

Die himmlischen Mächte mögen Ihnen eine ruhige Nacht schenken, frei von Lerngeschrei und
fliegenden Schwämmen, bis wie auch immer ein neuer lebhafter Schultag anbricht!

Abendsegen | Dienstag, 11. August

Berlin ist eine Stadt voller Ideen. Hier starten die meisten kleinen und großen ideenreichen und phantasievollen Unternehmen der Wirtschaft, der Kultur und dem Zusammenleben zu Gute.
Darf ich eine Stadt erwähnen, die ebenfalls viele menschenfreundliche Ideen bewegt hat ? Zürich! Zürich hat viele Brunnen und – fast alle Brunnen sind Trinkbrunnen! Niemand, der in Zürich unterwegs ist, muss Durst haben. Es erinnert fast an das Paradies! Das Gesicht und die Arme erfrischen, die Wasserflaschen auffüllen, becherweise trinken – wunderbar!
Mit hochroten Köpfen fragten mich in Zürich einmal zwei Touristinnen: „Wo gibt’s denn hier einen Laden, in dem man Wasser kaufen kann? In den Restaurants ist das alles so teuer!“ Sie standen ein paar Meter neben einem modernen schönen Brunnen an der alten Fraumünster-Kirche. Ich zeigte auf ihn: „Überall in der Stadt haben Sie die Möglichkeit, ihren Durst zu löschen! Ein sprudelndes
Echo vom Paradies…“ Sie sahen mich ein wenig besorgt an, genossen es dann aber.

Unser Vater, Segne diese Nacht und erinnere uns an das Wasser aus dem Brunnen, auch wenn es in einer Flasche verlässlich neben unserem Bett steht! Ein kühler Trunk ist wie ein Gruß aus
der Ferne

Abendsegen | Montag, 10. August

„Abgesagt“ – „Nicht abgesagt“ , zwei wichtige Worte in der Virus-Krise wie
„ Findet nicht statt“ – „findet statt“. Die Folge war oft Verzicht und Vergnügen,
Enttäuschung und Freude. Daraus hat meine Schweizer Kollegin Jaqueline Keune
eine coronar – Litanei gemacht. Einige Auszüge:

„Abgesagt – Haydn, Mozart, Schubert, dirigiert von Marek Janoswki
Nicht abgesagt – das Cello im 3. Stock, das Lied der Amsel
Abgesagt – die Lesung des Literaten
Nicht abgesagt – das Lesen des abendlichen Gedichtes, die Geschichte für die Kinder
Abgesagt – der Gottesdienst
Nicht abgesagt – das Flüstern mit Gott
Abgesagt – die Hochzeit
Nicht abgesagt – die Liebe
Abgesagt – die Abdankung
Nicht abgesagt – die Auferstehung.“

Unser Vater, schenke uns eine wohltuende Absage an die Tagesaufregungen, schenke uns
die wohltuende Ansage eines guten Morgens!

Quelle: Jacqueline Keune, Corona-Litanei, (Auszüge) 27. 03. 2020, kath.ch.