Zum Schulbeginn, Freitag, 12. August 2005

Wort zum Tage – Worte auf den Weg / RBB 8. August – 13. August 2005

„We are all humans“, „Wir sind alle Menschen“, so weinte die Frau, am Boden kauernd. Vor wem sie diese Worte hervorstieß, zeigte die Kamera in den Fernsehnachrichten nicht. War sie Kurdin oder Schiitin, ich weiß es nicht mehr, es spielt auch keine Rolle, denn wir sind alle „humans“
Wir sind alle Menschen. Wirklich? Oder sind die einen es mehr und die anderen weniger? Wo tut es sehr weh, wenn von Toten und Verletzten die Rede ist? Wo tut es ein bisschen weniger weh? Bei getöteten Kindern weitaus mehr als bei erschossenen Soldaten? Bei fünfzig Ermordeten in London mehr als bei Hundert in einer irakischen Stadt?

We are all humans? Wenn uns der Mord an Soldaten weniger schmerzt als der an Kindern, haben wir die edle Gesinnung bereits verraten. Es ist einfach fürchterlich, das Monster Krieg hat uns eingeholt, das Böse wohnt in jedem von uns. Wer die Welt einteilt in Schurken und Gute, in Achsen von Bösen und Koalitionen von Guten, der ist seinem Ich sehr oberflächlich begegnet. Wenn Gott als Vergleichspunkt eingeführt wird – „wir sind näher an Gott als ihr“ oder: „Unser Kreuzzug ist gottgewollter und gerechter als euer Jihad“ stärkt das unser Selbstgefühl, bringt aber den Menschen unendliche Verletzungen.
„Gott ist kein Gott der Ordnung, sondern des Friedens“, heißt es beim Apostel Paulus – „sondern des Friedens!“, das meint die vernunftbegabte und geistesgegenwärtige Arbeit am Frieden. Es ist ein schändliches Zeichen der reichen Welt, dass das Geld, das angeblich nicht zur Verfügung steht, die ungerechten Verhältnisse wenigstens zu mindern, stets dann in größerer Menge da ist, wenn es gilt Kriege zu führen. Die Erinnerung an die ungerechte Verteilung von Lebenschancen ist keine Rechtfertigung von Terroranschlägen, wo und von wem auch immer. Aber der Kampf gegen den Terrorismus darf nicht zu einem Instrument werden, von diesen Fragen abzulenken. Eine Zeitung aus Frankfurt, fern von systemumstürzenden Leidenschaften, gab nach dem Londoner Terrorschlag der schottischen Schriftstellerin A.L. Kennedy das Wort: „Niemand erwähnte, dass die Zahl der Opfer, so schrecklich sie war, in Bagdad an den meisten Tagen als recht gemäßigt gelten würde. Niemand erwähnte, dass für weite Teile der Welt wir die Terroristen sind“. Die Bibel schärft uns ein, Frieden ist nicht, wenn der Feind, sondern wenn die Feindschaft besiegt ist.