Zum Schulbeginn, Sonnabend, 13. August 2005

Wort zum Tage – Worte auf den Weg / RBB 8. August – 13. August 2005

Ein Leitwort der kommenden Wochen des Wahlkampfes wird heißen: Gerechtigkeit! Zu Recht: die Menschen wollen wissen, was die Gerechtigkeit kostet, welche Gestalt Barmherzigkeit oder Solidarität annehmen müssen, damit wir eine menschliche Gesellschaft bleiben. Es mag wahr sein, was ein kluger Beobachter zum möglichen Scheitern der Regierung sagte: Sie verfüge über eine „dedizierte Unmusikalität in Sinnfragen“. Gerechtigkeit – es gibt die soziale, die politische, die ökonomische Gerechtigkeit, sie haben alle mit dem Sinn realen Lebens zu tun. Und doch fehlt etwas, was im folgenden Wort der Bibel aufstrahlt: „Ein Gerechter ist wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht am Morgen ohne Wolken, wenn vom Glanz nach dem Regen das Gras aus der Erde wächst“.

Das heißt. Gerechtigkeit ist auch schön! Darf man in dieser Welt der Betrüger und Bedrücker von Schönheit sprechen? Die Bibel hat den Mut, Schönheit und Gott nicht zu trennen: „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes, Licht ist sein Kleid“ (Ps. 50; 104). Die Schöpfung ist – schön! Es muss nicht die berauschende Schönheit dere Rosenblüte sein, die Blütenblätter eines Storchenschnabels, ein Blatt der Malve, das tiefe Blau der Clematisblüte – sie sind schön im Zusammenspiel mit Regen und Licht Das Zusammenspiel macht auch die Schönheit zwischen Menschen aus. „Brich dem Hungrigen dein Brot, dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte.“, verheißt der Prophet Jesaja. Nun gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen, von dem, was Menschen für schön halten. Wie lernen wir Schönheit kennen? Da ist das Gesicht des Menschen, der sich uns in Liebe und Zärtlichkeit zuwendet. Das Gesicht der Mutter, wenn wir aufwachsen, das Gesicht der Freundin, wenn wir erwachsen werden, das Gesicht des Lebensgefährten, wenn die Jahre uns geprägt haben. Dieses Antlitz lehrt uns, was Schönheit ist, weil wir seine Zuwendung spüren. Diese liebevolle Zuwendung will unsere Würde stärken, will uns „gerecht werden“. „Einander gerecht werden“ – das steht in der Bibel an erster Stelle! Nicht jene Dame mit den verbundenen Augen und der Waage in den Händen –Justitia – im Gegenteil, offene Augen und ausgestreckte Hände zum Festhalten und Umarmen braucht die biblische Gerechtigkeit. Deshalb ist Gerechtigkeit auch schön, sie schenkt „Segen und Leben“. Wie selten gelingt es, dass die „Sonne der Gerechtigkeit“ über Menschen und Völkern aufgeht! Und doch: „Einem Menschen gerecht werden“, daran kann man arbeiten, jeden Tag. Der Berliner Theologe Helmut Gollwitzer hat gesagt: „Die Welt ist schrecklich und die Welt ist schön“, es ist das „und“, das wir nicht aufgeben dürfen!