DAS WORT – 02. Mai 2007

„Sein ganzes Leben war Arbeit“ – nicht selten liest man diesen und ähnliche Sätze in Todesanzeigen oder hört sie bei Traueransprachen. Das ist ganz positiv gemeint. Nach biblischem Verständnis von Arbeit und Ruhe hätte man dagegen etwas sehr Trauriges gesagt: Ein Mensch, dessen ganzes Leben Arbeit war, hat nur ein halbes Leben geführt, denn die Ruhe schließt die Arbeit ab, Arbeit ohne Ruhe ist nach der Bibel unvollständig. So ist nach der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht der Mensch die Krone der Schöpfung, sondern die Ruhe am siebenten Tag. Das Verhältnis von Arbeit und Ruhe gilt auch umgekehrt: Wie Arbeit ohne Ruhe unvollständig bleibt, so ist auch Ruhe ohne Arbeit nichts Ganzes. Die durch Arbeitslosigkeit (…) erzwungene Ruhe hat mit der Ruhe nach getaner Arbeit nichts zu tun. Jahre ohne Arbeit haben mit der Ruhe eines Urlaubs nichts zu tun. Ruhe ohne Arbeit ist ebenso ein halbes Leben wie Arbeit ohne Ruhe. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich mit beiden Halbierungen abgefunden hat. Der genießerische Spruch einer Berliner Brauerei „Wenn alles getan ist…“ ist schon lange verschwunden. Da gibt es nämlich die, die über zu viel Arbeit stöhnen, die buchstäblich nie zur Ruhe kommen – und nicht selten auf diese Beschäftigungen auch noch stolz sind – und die viel zu vielen anderen, deren erzwungene Ruhe ihnen das Recht auf die andere Hälfte des Lebens, das Recht auf Arbeit verweigert.

Gott hat die Welt für den Menschen erschaffen, damit der Mensch in dieser Welt leben, sie durch Arbeit gestalten und die Früchte seiner Arbeit genießen kann. Das ist zur Zeit der Bibel überhaupt nicht selbstverständlich: In der gesamten Alten Welt regierte das Ideal: Ein glücklicher Mensch ist einer, der nicht arbeiten muss. Ein Handwerker dagegen ist ein „banausos“, ein Banause, ein Mensch minderen Ranges. Ziel aller Träume war die Befreiung vom Zwang der Arbeit. Da widerspricht die Bibel mit aller Macht: Es geht nicht um die Befreiung vom Zwang der Arbeit, es geht um die Befreiung der Arbeit vom Zwang! Gott stellt sich mit den Worten vor: „Ich bin dein Gott, weil ich dich aus der Zwangs-Arbeit befreit habe!“. Genau darum geht es unvermindert heute: Wie gelingt es, dass die Menschen an der freien und verantwortlichen Gestaltung der Welt arbeiten können?

War das nicht das Thema des 1. Mai?