Abendsegen | Sonntag, 4. März 2018

„Zwischen Dreieck Wittstock und Neuruppin 12 Kilometer Stau. Der Zeitverlust beträgt rund eine Stunde.“ Jedes einzelne Mal, wenn ich dieses Wort, Zeitverlust, höre, diese durch und durch kapitalistische Sichtweise von Warten, widerspreche ich innerlich – Warten als Zeitverlust! Gäbe es nicht ebenso so viel Grund zu sagen: Der Zeitgewinn beträgt rund eine Stunde? Wie unterschiedlich doch gewartet werden kann. Sicher wartet eine Frau in einem kurdischen Dorf anders als eine in Mailand auf der Modemesse. Warten ist oft Ärgernis, Warten ist größte Zumutung, bedeutet größte Ohnmacht.

Ich mag Menschen, die warten können, die es wagen zu warten, die zur Ruhe fähig sind, die Geduld haben. Warten ist nicht abwarten, ist nicht Däumchendrehen. Warten auf die Geburt des ersten Kindes, auf die neue Niere, auf die Heilung, auf das Ende der Trauer – das ist: sich der Ungewissheit anzuvertrauen! Festhalten daran, dass es ein Mehr, ein Besseres geben kann!

Heute war Sonntag, ein Ruhetag, ein Stärkungstag, ein Wartetag.

Unser Vater, der du die Zeit geschaffen hast, bleibe bei uns, denn es will Nacht werden und der Tag hat sich geneigt. Schenke Leib und Seele das schönste Warten, einen ruhigen Schlaf.