Abendsegen | Donnerstag, 9. Januar 2025

Ein kleines Mädchen wollte Gott treffen. Es packte eine Limonade, zwei Pappbecher und drei Bio-Schokoriegel in den Rucksack und ging in den Park. Da saß eine alte Dame und sah den Tauben zu. Das Mädchen setzte sich zu ihr, packte die Schokoriegel aus und merkte, wie hungrig die Nachbarin auf die Riegel schaute. Sie gab ihr einen. Da lächelte die alte Dame und sie teilten daraufhin auch die Limonade. So saßen sie da bis zur frühen Dunkelheit. Das Mädchen verabschiedete sich, es gab noch irgend wie eine kleine Umarmung. Die Mutter sagte: „Du siehst ja so fröhlich aus!“ „Ja, sagte das Mädchen, „ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – sie hatte ein wundervolles Lächeln!“ Als die alte Dame mit ihrem Rollator zu Hause war, fragte ihr Sohn, warum sie so ausgesprochen fröhlich aussehe. Sie antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und sie ist viel jünger, als ich dachte.“

Der Friede Gottes erfülle und beschütze uns, er verzeihe alle unsere Bilder und beschenke uns mit Staunen, wenn wir an einem Tisch sitzen. Er wende sein Angesicht uns zu und sei mit uns in einem erholsamen Schlaf.

Abendsegen | Mittwoch, 8. Januar 2025

„Liebe Patientinnen und Patienten,“ steht mit schwungvoll-freundlicher Schrift auf einer kleinen Tafel in der Praxis für Physiotherapie, die ich zum Wohle von Leib und Seele regelmäßig aufsuche – Ihnen vielleicht nicht ganz fremd? „Liebe Patientinnen und Patienten, wir möchten Sie herzlich darum bitten, bei Erkältungssymptomen zu Hause zu bleiben! Ihre Gesundheit und die unserer Mitarbeiterinnen liegt uns sehr am Herzen. Indem Sie sich auskurieren, tragen Sie nichr nur zu Ihrer eigenen Gesundheit bei, sondern schützen auch andere. Wir freuen uns darauf, Sie gesund wiederzusehen. Vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Rücksichtnahme!“

Die kleine Ansprache im Geist der Gegenseitigkeit, der Wahrnehmung des Gegenübers ist ein Signal des Gemeinsinns: „Ich schütze dich vor mir Du schützt mich vor Dir“ – das nennen wir Gemeinsinn. Wir brauchen kein Feindbild, wir brauchen einen starken Sinn für das, was Menschen verbindet und zusammenhält. Gemeinsinn – er wird unentbehrlich.

Unser Vater und unsere Mutter in den Himmeln, segne unser aller Schlaf und lasse uns morgen vom Gemeinsinn etwas ahnen, spüren und erfahren.

Abendsegen | Dienstag, 7. Januar 2025

Ein alter Mann mit einem wundervollen Strauß frischer Blumen sitzt einer jungen Frau im Bus gegenüber. Sie kann ihren Blick von der ersten Blumenpracht nach dem dunklen Winter nicht lassen. Kurz vor der nächsten Haltestelle erhebt sich der alte Mann, verbeugt sich leicht und sagt: „Er ist eigentlich für meine Frau, aber sie hätte es gern, wenn Sie ihn bekommen. Ich werde ihr erzählen, dass ich die Blumen Ihnen geschenkt habe..“ Verlegen und glücklich nimmt die junge Frau den Strauß in beide Hände. Als der alte Herr aussteigt, steht auch sie auf, um ihm nachzusehen. Er geht auf ein Tor zu, das auf einen kleinen Friedhof führt… Gott, der die Menschen und die Blumen erschaffen hat, schenke Ihnen einen stärkenden Schlaf und überrasche Sie morgen mit einem wohltuenden Gegenüber im Bus…

Abendsegen | Montag, 6. Januar 2025

Mit diesem Montag fing für viele Menschen Arbeit, Schule und das neue Jahr so richtig wieder an – mit allen Sorgen und Bangen, was es wohl bringen wird. Wachsende wirtschaftliche Nöte werden dazugehören und Gedanken, wie wir wohl in enger Gemeinschaft wie aber auch weltweit helfen können. Die Bibel  sagt: „Brich dem Hungrigen dein Brot!“ Da ist der Schritt von der Bibel zu Bertolt Brecht nicht weit. Er sagt es so: 

„Höchstes Glück ist doch zu spenden
Denen, die es schlechter haben.

Schöner ist doch keine Rose
Als das Antlitz der Beschenkten
Wenn gefüllet sich, o große
Freude, seine Hände senkten.
Nichts macht doch so glücklich heiter
Als zu helfen allen, allen!
Geb, was ich hab, nicht weiter
Kann es mir doch nicht gefallen!

Gottes Segen gewähre Ihnen eine ruhige Nacht und stärke Herz und Hände für eine segensreiche Woche!

Quelle: Bertolt Brecht, Lied des Darmwäschers, in: Werke, Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 14, Gedichte 4, Suhrkamp, Frankfurt a.M.,1993

Bücherbrief zum Ausklang 2024 – zum Auftakt 2025


Festlich, köstlich und besonnen – vom Gemeinsinn zur Herzensbildung

Eine Veröffentlichung der Schleichers Buchhandlung Dahlem-Dorf

„Kam ein Wort, kam durch die Nacht, wollt leuchten, wollt leuchten“, wer einmal nichts mehr zu sagen wusste, ahnt, wie schwer das ist, bis ein Wort kommt. Paul Celan bewegt seine Worte stockend, wiederholend, schwerfüßig, unermüdlich. Nicht irgendein Wort – ein leuchtendes, ein einleuchtendes. Was das oft kostet – zwischen Kindern und Eltern, Kranken und Gesunden, Einsamen und Zuhörenden – ein Wort, das leuchtet, das durch die Nacht kommt.

Ein afrikanisches Mädchen erzählt: „Eines Tages bekamen wir eine neue Lehrerin, eine weiße Amerikanerin. Sie war sehr freundlich, aber sie hatte keine guten Manieren. Sie schrieb 10 Rechenaufgaben an die Tafel, sie stellte zehn Kinder vor die Tafel, jedes Kind sollte eine Aufgabe ausrechnen. „Wer zuerst fertig ist, dreht sich um,“ sagte sie. Wir aber warteten ab, bis alle die Aufgaben gelöst hatten und dann drehten wir uns alle gemeinsam um.“

Am Morgen nach der Qualwahl in Amerika kam dieses „Wort durch die Nacht“ zu mir und ich wusste, es ist die Antwort auf den gesellschaftlich-politischen Totalschaden durch eine unreplizierbare Anomalie namens … der Name nicht auch hier noch … Das Wort Gruselkabinett traf selten genauer ins Schwarze: Ein in übles Mistzeugs verstrickter Mensch sollte Justizminister werden, ein entschiedener Impfgegner Gesundheitsminister. Das afrikanische Mädchen erzählt die Antwort auf diese bizarr rechtsextreme Orgie autoritärer Neigungen. Bernie Sanders, früherer Präsidentschaftskandidat, fasst es noch knapper: „Not me. Us.“. Nicht ich, sondern wir.

Nils Minkmar schreibt den gescheiten Internet-Blog „Der siebte Tag“, für Theologen ein wunderbarer Titel; er zitiert die Analyse eines amerikanischen Freundes: „White supremacy and misogynoir“ – warum wählen Millionen Menschen jemanden, der lügt und ihre Zukunft ärmer werden lässt? Leben wir in der Stunde unsicherer Männer? Wohin man sieht … „Du bist in großer Gefahr. Ich bin ein Machtmann. Folge mir, und du bist sicher.“ Da ist es wohl rührend und romantisch, wenn hier Bücher vorgestellt werden, die den Kontrast bilden zu dem, was „jenseits aller Vernunft“ zur Zeit geschieht. Es geht nicht um America first, wie das afrikanische Mädchen hellsichtig wahrnahm („und wer zuerst …“), es geht um Gemeinsinn!

Aleida und Jan Assmann, Gemeinsinn. Der sechste, soziale Sinn.
C. H. Beck Verlag, 262 S., 25.00
Euro
Gehen am Heiligen Abend viele Menschen in die Kirchen, die Provokationen der Weihnachtsgeschichte zu hören samt herzbewegender Musik, so sollten sie gleich im Gemeinsinn der Assmanns weiterlesen! Die Tochter des Heidelberger Neutestamentlers Günther Bornkamm legt hier einige Exkurse in christlicher Theologie hin, die es in sich haben und die weihnachtlich-umstürzlerischen („Er stößt die Mächtigen vom Thron“) Aussichten glasklar zur Sprache bringen.
Ein Buch wie gemacht für das Fest 2024, wie gedacht als Antwort auf die Weltmisere in Washington. Es ist ein kluges Buch – mitwachsend verfasst bis in aktuell gegenwärtige Situationen und zugleich philosophiehistorisch freundlich-gründlich erzählend, klärend, entfaltend, zurechtrückend, dialogisch und im allerbesten Sinne unterrichtend, ja, erinnernd und aufklärend zugleich, was hervorragend und so dringend nötig ist: Es macht gesprächsfähig in einer einem die Sprache verschlagenden Zeit, mit diesen in ihren Ländern zementierten Autokraten. „Gemeinsinn“ – ein in seinen Spielarten – Gemeinnutz, Gemeinwohl, Gemeinschaft – oft furchtbar pervertiertes Wort, von den schlimmsten Strömungen gerne als Schmuck mitgenommen. Überhaupt: Hilfreich und entlastend-befreiend zu lesen und zur eigenen Vergewisserung beitragenden Exkurse sind die Begriffsuntersuchungen zu Solidarität, Brüderlichkeit, Respekt wie auch der Blick auf die Beziehungsgrammatiken in unseren Freund- und Feindbildern. Es gibt unverkennbare Sympathieporträts, so von Karl Löwith und dem Mitmenschen, aber auch unbestechliche Schauerporträts wie von Carl Schmitt und seinem todbringenden Freund-Feind-Denken. Diese deutschen Großdenker, von denen man nach dem schrecklichen Elend nie, nie, auch nur ein einziges Mal das Wort Holocaust hörte…

Kein Katheder-Buch, sondern mit einem Schlusskapitel Helden und Heldinnen des Gemeinsinns, das den Stolpersteinen, Denkmälern, Tafeln, den versehrten Städten und dem Mit-einender-Reden gewidmet ist sich zuwendet. Höchst aufschlussreich ist Aleida Assmanns Hinweis darauf, dass die AFD nur von Zusammenhalt spricht, nie von Gemeinsinn! Gemeinsinn meint das Wohl der Allgemeinheit, daran ist die AFD trotz ihrer röhrenden Rhetorik nicht interessiert, sondern allein an ihrer Eigengruppe, und die hat enge Grenzen. Ein Buch glänzender akademischer Belesenheit und argumentierbereiter Marktplatz-Debatten- Freudigkeit. Keine gesammelten Vorlesungen – im Sinne des Titels, eine menschenfreundliche Lektion zu Weihnachten, dem Fest des Gemeinsinns, des sechsten, des sozialen Sinns und natürlich des Lesens. Und, ganz nebenbei, so wohltuend wie nur denkbar eine ausgesprochen altmodische Anleitung zur Herzensbildung:

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Bücherbrief im Spätsommer 2024

Zwischen Kibbuzim und Zauberbergen – Vom Kudamm in die Karawanken

Bücher im Jahr der Würdigungen / Bücherpäckchen für Heranwachsende

Von Kant zu Kirsch, von Franz Kafka zu Bulat Okudschawa, vom 75-jährigen Grundgesetz bis zu uns – ein Jahr ratgebender, wohltuender und berührender Bücher bewegt sich dem Herbst entgegen – einem schon jetzt erkennbar reichen Bücher-Herbst. Zeit für einen Zwischenblick:

Schauen wir ins sommerliche Büchernetz und nehmen die Titel heraus, die wir nicht ins Meer der Bücher von 2024 zurückwerfen wollen: Jene, die am Ende des Jubiläumsjahres in der ersten Reihe sitzen sollten; wir porträtieren sie knapp mit persönlicher Empfehlung.

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Abendsegen | Sonntag, 14. Juli

Der alttestamentliche König Salomon lebt im Gedächtnis der biblisch geprägten Welt als der weise König. Ein salomonisches Urteil fällen heißt, ein weises Urteil fällen.

Das konnte auch Salomo nicht sofort mit Beginn seiner Regierung; er war sehr jung und überfordert mit seiner Rolle. Also steigt er für eine Zeit aus dem Alltag aus, unterbricht seine Amtsgeschäfte, zieht sich richtiggehend zurück. Er bittet Gott, nein, nicht um Macht und Reichtum – er bittet Gott um ein hörendes, ein verstehendes Herz. Das Herz ist in der Bibel der Ort des Verstehens, des Urteils, des Intellekts, vor allem der Erinnerung. Die betonte Unterbrechung seines Regierens tut ihm gut; er gewinnt eine Perspektive für sein Leben. Ich weiß, niemand lässt sich gern unterbrechen. Dass der Mann aus Samaria, der Samariter, sich unterbrechen ließ von dem halbtot am Straßenrand Liegenden, hat ihn zum Vorbild der Barmherzigkeit werden lassen bis auf den heutigen Tag. Ein kluger Mensch hat gesagt: „Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion.“ Religion unterbricht den Alltag, das normale Einerlei.

Die schönste Unterbrechung des Alltags ist der…..Sonntag! Eine Gelegenheit, über das Wozu des Lebens und über das, was ihm fehlt, nachzudenken. Gut, gut – der nächste Sonntag kommt in sieben Tagen…

Gott, wandle in Segen, was war und was kommen wird.

Abendsegen | Sonnabend, 13. Juli

Der Berliner Pfarrer und Lehrer der Theologie Friedrich-Wilhelm Marquardt hat nach schweren Erkrankungen ein Wort zum Abend aufgeschrieben:

„Mit jedem Abend eines Tages erinnerst du, Gott, uns an den Abend des Lebens und das Ende aller Dinge. So ist er die Zeit, für den Tag zu danken und uns für den Weg zu befehlen. Unser Leben danken wir dir; dir danken wir Eltern und Geschwister, die nächsten Geliebten, Genossen und Menschen. Mit ihrer Hilfe sind wir, was wir sind.
Dir danken wir von Herzen, Dir danken wir das Ja zum Leben, auch zu seinem Ende. Dir danken wir Leib, Seele und Geist – unverdientes Überleben, Lebensfreude, Widerstandskräfte gegen, Zwänge und Ängste. Aber auch Phantasie, das Leben zu meistern, allein du aber bist unser Meister. Du bleibst, der du bist – unsere Freude und Dankbarkeit gelten Dir, unser Schöpfer und Versöhner und Befreier. Diese Hoffnung ist unsere Gewissheit auch auf unserem Weg in die Nacht.“

Wir sprechen dieses Gebet des erkrankten Freundes Friedrich-Wilhelm Marquardt und denken an alle, die in dieser vergangenen Woche eine Diagnose bekommen haben, die ihnen Angst macht. Unser Vater in den Himmeln, sei behutsam mit ihnen; segne, behüte, bewahre und tröste uns alle.

Quelle: Von Frau Dorothee Marquardt übermittelt

Abendsegen | Freitag, 12. Juli

Der Schabbat, der jüdische Ruhetag, hat begonnen, der Sonntag, der christliche Sonntag, steht bevor. Ein großes Thema des Schabbats ist die Erinnerung an die Schöpfung und segensreiche Ruhe. Mit der erzählten Vertreibung aus dem paradiesischen Garten kommen Arbeit und Unruhe. Im himmlischen Garten wird zwischen dem Schöpfer, der Schlange, Eva und Adam einiges Entscheidendes beredet. Eva ist sehr sprachgewandt im Umgang mit der Schlange, während sie an Adam kein einziges Wort richtet. was gerne übersehen wird!

Aber der Schöpfer fragt „Adam, wo bist du?“ „Was?“ rief ein einmal ein kluger Rabbi, „Gott wusste nicht, wo Adam sich aufhielt?“ „Nein“, sagte ein anderer, „Gott wusste es, Adam wusste es nicht! Adam, zu Deutsch, der Mensch, muss immer danach trachten, seinen Ort, seine Rolle, seine Stellung in der Gesellschaft zu kennen und zu bestimmen: “ Wo stehe ich im Hinblick auf Gott und die Nächsten? Genauer: Auf wessen Seite, in wessen Nähe stehe ich? Jede Wahl stellt diese Frage: „Adam, Mensch, wo stehst du, wo bist du?“ Es ist die erste Frage Gottes an uns…

Die Nacht kommt, Du, Gott, hast sie uns gegeben, in Stille und Schlaf Kraft zu finden. Kommen Gedanken, hilf uns, sie zu klären und unseren Ort zu finden.

Abendsegen | Donnerstag, 11. Juli

„Das Wochenende droht“, sagte liebevoll der Hausarzt und gab mir seine private Telefonnummer. Aber es verlief gut und auf der Suche nach Lektüre für die Lage fand ich ein Gebet meiner Kollegin Jacqueline Keune aus dem schweizerischen Luzern:

„Lass mich glauben, mein Gott,
dass ganz am Ende nicht der Schmerz steht,
sondern du.

Lass mich erkennen, mein Gott,
dass da Wege sind aus dem Schmerz
und dass Kraft ist – auch in mir – aufzustehen.

Lass mich glauben, mein Gott,
dass ganz am Ende nicht der Schmerz steht,
sondern du.“

Gott, bleibe mit deinem Segen bei uns in dieser Nacht, bei allen, deren Vernunft und Mut versiegt sind, bei denen, denen alles schmerzt, bei die, die mit sich fertig sind, schütze uns, stärke uns, lass uns froh gemut erwachen!

Quellen: Jacqueline Keune, Pfarrerblatt des Kantons Zug (CH), Nr.14, April 2007

Cornelia Egg-Möwes, Abendsegen, Neukirchener Verlag, 2023, 128, 142