Abendsegen | Donnerstag, 5. Mai

Der Mai ist stürmisch und für Gespräche mit Gott ein wunderbarer Monat. Für Juden und Christen ist Gott keine unpersönliche Kraft, sondern in allen Nöten ansprechbar: Eine jüdische Großmutter schaut zu, wie ihr Enkelsohn am Strand spielt. Plötzlich kommt eine große Welle, erfasst das Kind und trägt es fort ins Meer. Die Großmutter fleht: „Bitte, Allmächtiger, rette meinen Enkel, und bring ihn wieder zurück.“ Und sogleich kommt eine große Welle und schwemmt den kleinen Jungen – gesund und munter – wieder an den Strand.
Die Großmutter schaut zum Himmel hinauf und sagt: „Und wo ist seine Mütze?“

Gott, der seine Geschöpfe zu Frage und Antwort geschaffen hat, möge Sie mit einem lebensstärkenden Schlaf segnen!

Abendsegen | Mittwoch, 4. Mai

Ein alter Mann mit einem wundervollen Strauß frischer Maienblumen sitzt einer jungen Frau im Bus gegenüber. Sie kann ihren Blick von der Blumenpracht nicht lassen. Kurz vor der nächsten Haltestelle erhebt sich der alte Mann, verbeugt sich leicht und sagt: „Er ist eigentlich für meine Frau, aber sie hätte es gewiss gern, dass Sie ihn bekommen. Ich werde ihr erzählen, dass ich die Blumen Ihnen geschenkt habe!“
Verlegen und glücklich nimmt die junge Frau den Strauß in beide Hände. Als der alte Mann aussteigt, sieht sie ihm nach. Er geht durch ein Tor, das auf einen kleinen Friedhof führt…

Gott, der die Menschen und die Blumen erschaffen hat, schenke ihnen einen stärkenden Schlaf und überrasche sie morgen mit einem leuchtenden Maiengrün.

Abendsegen | Dienstag, 3. Mai

Von der tollen Walpurgisnacht und den Maiennächten singen die Dichter. Wie kam die Nacht in die Welt? Eine jüdische Sage erzählt: Nachdem Gott den Menschen geschaffen hatte, begann er gemeinsam mit der Erde die Menschen zu ernähren. Er schuf den Wechsel von Tag und Nacht, nahm die Nacht und gab der Erde den Tag. So wacht der Mensch am Tage und schläft des Nacht. Der Schlaf ist dem Menschen eine Wohltat, wie Speise und Erholung.
Die Seele steigt des Nachts zum Himmel empor und schöpft ihr Leben von oben. So kam die Nacht in die Welt. Der Erde steht der Schöpfer ebenfalls bei und tränkt sie mit Maienregen und gibt Speise allen Geschöpfen.

Gott, der Tag und Nacht geschaffen hat, segne ihren Schlaf, schenke ihnen die Wohltat der Erholung und lasse sie erfrischt erwachen.

Abendsegen | Montag, 2. Mai

Der Mai ist gekommen – ein Monat der Herzen, Hormone und heiteren Feste, verdankt er doch seinen Namen der Erd- und Wachstumsgöttin Maia. Sie durchpulste das Blut der Menschen nicht mit Maibowle allein, sondern mit so vehementer Lebenslust, dass die Kirche beschloss, die stürmische Maia in die milde Maienkönigin Maria übergehen zu lassen. Gut zu erinnern, dass der Ehemann der Königin Maria ein Arbeiter war, denn der 1. Mai ist auch der Gedenktag Josefs des Arbeiters. Königin und Schreiner – der Mai bringt eben vieles zusammen…

Gott, der Himmel und Erde, Sonne, Monde und alle Monate geschaffen hat, schenke ihnen einen gesegneten Schlaf in die erste Maiwoche.

Abendsegen | Sonntag, 5. Dezember

Der zweite Adventssonntag geht zu Ende. Am Horizont wird Weihnachten deutlicher – das Fest der hartnäckigen Sehnsucht nach Frieden. Der Dichter Peter Huchel hat die Friedensahnung in Worte gefasst, die den Erfahrungen seiner märkischen Heimat entstammen, jener Wald- und Wasserlandschaft südlich von Schwielow- und Templiner See, spröde und schön wie die biblische Weihnachtsgeschichte.

Friede
Zugzeiten der Vögel.
In den stachligen
Grannen gedroschener Ähren
wohnt noch die milde Leere des Sommers.
In den Schießscharten des Wasserturms
wuchert das Gras.

Und der Friede Gottes, der unser Verstehen übersteigt, segne Ihren Schlaf und das Leben aller
Verletzten und Trauernden. Gelobt seist du, Gott, für den, der in deinem Namen kam.

Abendsegen | Sonnabend, 4. Dezember

Der Kirschzweig im großen Wasserglas, das schmale Aststück vom Apfelbaum, die Forsythie – heute heißen sie alle Barbarazweig, heute ist der Gedenktag der Heiligen Barbara aus dem 3. Jahrhundert. Die Geschichte der Kirche ist bevölkert mit Gelehrten, Asketen, Begriffsartisten – Herren. Aber Barbara wie Katharina, Dorothea und Margareta, sie gehören zu den schönen und mutigen Frauen des Glaubens. Barbara unterwarf sich keiner männlicher Macht, lebte und starb in der Hoffnung auf das Reich Gottes – wie der Zweig es abbildet: Heute ins Wasserglas gestellt, wird er zu Weihnachten erblühen – so hoffen wir…

Der Gott aller Hoffnung möge Ihren Schlaf bewahren, Sie nicht aus seiner Hand gleiten lassen und segnen, was wachsen will!

Abendsegen | Freitag, 3. Dezember

Was ist eigentlich Anstand? Anstand ist altmodisch, also etwas, das es schon seit langem gibt und sehr gut aussieht. Meine Schweizer Kollegin Jacqueline Keune sagt:“ Wenn ich Anstand sage, dann meine ich Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, meine ich Gesten und Sprache, die nicht endlos ich wiederholen. Der Anstand, den ich meine, schenkt den Menschen Bedeutung, weicht aus, wo es eng wird, lacht nicht unbesehen laut mit. Mir ist die Gleichberechtigung der Geschlechter auch wichtiger als ein bisschen Höflichkeit. Doch möchte ich, dass mir die Schülerinnen und Schüler zum Unterrichtsbeginn die Hand geben, und ich will ihnen die Hand geben und ins Gesicht schauen und guten Tag sagen“.

Gott segne Sie mit einer ungestörten Nachtruhe, einem erholsamen Schlaf und schenke Ihnen ein anmutiges Wochenende!

Abendsegen | Donnerstag, 2. Dezember

Adventszeit ist Zeit der Märkte. Märkte haben ihren Reiz, blakende und zischende Lampen erhellen geheimnisvolle Auslagen, man kann Fremdes entdecken; es muss nicht immer Glühwein sein, der das Herz erwärmt. Ein besonderer Markt ist der Chanukkamarkt im Jüdischen Museum. Gestern Abend begann das achttägige jüdische Chanukka-Fest – ein Lichterfest; der niemals erlöschende Leuchter steht im Mittelpunkt. Er erinnert in seinem Leuchten an die helfende Gegenwart Gottes. So soll er im Fenster stehen, gleichsam als leuchtendes Bekenntnis zu Gott. Es ist ein sinnliches Fest mit Geschenken, gutem Essen, Spielen und Musik, Weihnachten sehr ähnlich, so dass man in Berlin gerne von Weihnukka spricht, auch ein Beitrag zur Integration…

Und Gott, der das Licht schuf, segne auch die Dunkelheit unserer Nacht, er segne die Stadt, in der wir alle leben, er segne die Menschen, die uns tragen, jetzt und immer.

Abendsegen | Mittwoch, 1. Dezember

Heute am 1. Dezember besannen sich viele Menschen auf den Welt-Aids-Tag. Der Londoner Rabbiner Lionel Blue erzählt vom Besuch auf einer Aids-Station im Krankenhaus:
„Danke“, sagte der Kranke höflich und seufzte, „ich habe genug Zuspruch erfahren. Es ist ein Unterschied, ob man drüber redet oder ob’s einen selbst erwischt hat.“
„Was brauchen Sie dann?“, fragte ich ihn. „Hilfe bei den kleinen Sachen, zum Beispiel, wenn ich in die Badewanne steigen will, oder beim Einkaufen, auch eine Fahrt ins Grüne wäre himmlisch. In meinem Zustand sind es die kleinen Dinge, die aufbauen oder fertig machen.“
Er hatte Recht, ich werde nicht mehr groß daherreden, sondern die kleinen Dinge tun.“

Der Gott aller Hoffnung möge Ihre Nacht segnen mit stärkendem Schlaf, mit einer Ahnung von Trost, einer Ahnung von Hoffnung, einer Ahnung von Lebendigkeit!