Abendsegen | Dienstag, 6. April 2010

Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger ist 80 Jahre alt geworden. Phantasievoll und mit Sachkenntnis hat er die Republik begleitet; mal erbittert-polemisch, mal gelassen-poetisch.

Zeilen aus seinem Dankgebet Empfänger unbekannt, Retour a la Expediteur:

„Vielen Dank für die Wolken…
Und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten…
Für den Schlaf ganz besonders…
Und, damit ich es nicht vergesse,
Für den Anfang und das Ende
Und die paar Minuten dazwischen
Inständigen Dank,
Meinet wegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.“

Gottes Segen sei mit uns allen, er behüte unseren Schlaf! Und den der Wühlmäuse draußen im Garten auch…

Abendsegen | Ostermontag, 5. April 2010

Das Osterfest geht zu Ende. Was wäre Ostern ohne die Frauen? In manchen Familien stünde kein Festtagsessen auf dem Tisch. Wer würde die Eier färben? Wären die Fenster geputzt? Im Ernst: Was wäre Ostern ohne die Frauen? Das größte kirchliche Fest wäre ausgefallen. Von Jesus würde niemand reden. Denn wer war es, der die Osterbotschaft weiter getragen hat? Die Frauen. Die Frauen standen am Kreuz, als es todernst wurde. Als alle sagten: Tot ist tot, da kann man nichts machen – da erlebten die Frauen am Grab, dass es gesprengt war. Jetzt sollen sie die Osterbotschaft weitersagen! Die Bibel ist eindeutig: Kein Ostern ohne die Frauen. Im Süddeutschen sagt man: Der Hahn kräht, das Ei legt die Henne…

Gesegnet sei die Ruhe der Nacht! Jeder Atemzug und der erste Blick in das Licht des neuen Tages. Gesegnet sei jede Geste der Zärtlichkeit und jeder Mensch, dem wir begegnen.

Abendsegen | Sonntag, 03. Januar 2010

In der Oper „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss hat die Figur der Marschallin alle Sympathien des Publikums erworben, eine nicht mehr junge Frau, die einen sehr jungen Mann liebt. Doch ihrer Liebe ist ein unbesiegbarer Feind erwachsen: die Zeit. Von dieser schmerzhaften Erkenntnis singt sie:

„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hin lebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, auch in uns drinnen. Manchmal steh ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehn.
Allein man muss sich auch vor ihr nicht fürchten.
Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns all erschaffen hat.“

Man muss sich auch vor ihr nicht fürchten – sie steht in Gottes Händen, unsere Zeit.
Mit ihren Anfängen und ihren Abschieden.

Unser Vater, morgen beginnt die Zeit der Arbeit, der Suche nach Arbeit, der  Herausforderungen dieses Jahres. Weite unser Herz zu lieben und zu kämpfen und segne unseren Anfang mit einem stärkenden Schlaf.

Abendsegen | Sonnabend, 2. Januar 2010

Etwas versprechen, nur weil sie Ruhe haben wollen. Irgendwann machen das alle Kinder, wenn die Eltern nerven: „Ja, ich gehe nicht in den Park.“ „Ja, ich mache die Hausaufgaben.“ „Ja, ich  esse das Pausenbrot.“ Und dann machen sie doch, was sie wollen. Aber wer hat denn angefangen mit den falschen Versprechungen? Vielleicht war’s der Papa am Kinderbett:

„Schlaf, Goldkind. Schlaf ruhig.
Ja, Papa.
Und keine Angst. Ich pass auf dich auf.
Bleibst du bei mir?
Ja, ich bleibe bei dir.
Die ganze Nacht?
Schlaf mal, Augen zu.
Die ganze Nacht, Papa?“

Natürlich nicht die ganze Nacht, nur so lange, bis sie eingeschlafen ist. Auch er will seine Ruhe haben. Also, wer will es den Kindern verübeln, dass sie es genauso machen.

Unser Vater, lasse Wahrheit und Frieden leben in den Familien, zwischen denen, die sich nicht kennen und denen, die sich zu gut kennen. Segne und behüte uns alle.

Abendsegen | Freitag, 1. Januar 2010 – Neujahr

Wer anfängt – so wie wir alle jetzt mit dem neuen Jahr – wer neu anfängt, weiß, dass es andere Anfänge gegeben hat. Zu den Anfängen unserer Tradition gehören die biblischen Versprechen vom Recht und vom Brot für die Armen und von der Erde, die bewahrt bleibt für die kommenden Generationen – ohne schädliche Abgase und steigende Erwärmung. In einer katastrophalen Welt erinnern wir uns der Versprechen von Gottes Rettung der Welt. Ich wünsche allen, die heute neu anfangen wollen, dass sie an mehr glauben als sie sehen. Die Zeichen der Zeit machen ihnen nicht Angst, sondern setzen sie in Stand, alles zu prüfen und das Gute zu behalten. So lautet die kirchliche Jahreslosung für das Jahr 2010: „Jesus Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Gott allen Trostes und aller Verheißung, segne und behüte uns, begleite uns mit deiner Liebe, die uns trägt und fordert. Lege deinen Namen auf uns und wir sind gesegnet.

Abendsegen | Montag, 30. Dezember 2009

Morgen Abend um diese Zeit machen wir uns bereit, die Schwelle vom alten zum neuen Jahr zu überschreiten. Die einen werden fröhlich wie auf einem weichen Teppich über die kantige Zeitschwelle schweben. Andere werden nachdenklich zurückblicken, sorgenvoll dem kommenden entgegensehen. Für die einen wie für die andern lese ich Verse aus dem 90. Psalm, übersetzt von Moses Mendelssohn

Herr, unser Zufluchtsort warst du, von Menschenalter zu Menschenalter.
Ehre denn die Berge gezeugt; geschaffen wurde Welt und Erde, und von
Ewigkeit zu Ewigkeit, bist du allmächtig!
Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz. Unsere Lebenszeit währet siebenzig Jahre,
achtzig ist ihr fernstes Ziel; und ihr Stolz ist Müh und Kummer, schnell abgeschnitten,
als flögen wir hin!
Ach, lehr uns unsere Tage zählen, damit weisen Herzens sein!
Unseres Gottes Freundlichkeit werde uns beschieden; so gelinget unserer Hände Werk.
All unser Tun gelinget nur durch ihn.

Und der Friede Gottes, der alles Begreifen übersteigt, bewache unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Abendsegen | Sonntag, 20. Dezember 2009

Yehudi Menuhin, der große Musiker, hat Lebenserinnerungen geschrieben: „Unvollendete Reise“ hat er sie genannt. Einmal schreibt er über die Interpretation eines Musikstückes: „Im Idealfall würde man eine Passage ganz gleichmäßig spielen und gerade so viel Unregelmäßigkeiten zulassen, dass ein Element der Lebendigkeit spürbar bleibt.“
Für Menuhin ist diese kleine Unregelmäßigkeit, diese Lebendigkeit „La part de Dieu – Gottes Teil“. Er sagt, das sei es, wovon jede „Aufführung fast unbewusst bestimmt sei.“ Ich finde das wunderbar: Die Noten so exakt wie möglich – und dann ein kleiner Spielraum zwischen den Noten, den wir nicht in der Hand haben, der alles bewegt und belebt: Gottes Teil.

Gott segne uns alle in unserem angestrengten Leben mit jenem kleinen Teil von überraschender Lebendigkeit, der unsere Tag- und Nachtzeit immer erneut so köstlich macht.

Abendsegen | Sonnabend, 19. Dezember 2009

Zu einem Einsiedler kommt ein junger Mann und fragt ihn: „Welchen Sinn hat die Stille?“ Der Einsiedler schöpft gerade Wasser aus dem Brunnen. „Schau in den Brunnen“, sagt er, „was siehst du?“ Der junge Mann blickt in den Brunnen. „Ich sehe nichts“. Nach einer Weile fordert der Einsiedler ihn wieder auf. „Schau in den Brunnen, was siehst du?“ Der junge Mann blickt hinunter und sagt: „Jetzt sehe ich mich selber.“ „Siehst du“, spricht der Einsiedler, „als ich Wasser schöpfte, war es unruhig, und du sahst nichts. Jetzt ist das Wasser still, und du siehst dich selbst. Das ist der Sinn der Stille.“

Morgen ist der vierte Advent. Wird er stürmisch? Bringt er Stress? Er lädt ein zur Stille…

Gott segne in dieser Adventszeit Ihre Arme mit Kraft, Ihre Hände mit Zärtlichkeit, Ihre Augen mit Lachen, Ihre Nase mit Wohlgeruch, Ihr Herz mit Freude und Ihre Stunden mit Stille.

Abendsegen | Freitag, 18. Dezember 2009

„Kam ein Wort, kam,
kam durch die Nacht,
wollt’ leuchten, wollt’ leuchten.“

Wer einmal nichts mehr zu sagen wusste, der ahnt, wie schwer das ist, bis ein Wort kommt. Der Dichter Paul Celan bewegt seine Worte stockend, wiederholend, schwerfüßig,  unermüdlich. Schließlich kommt es doch: „kam ein Wort.“

Der Weg, den das Wort nimmt, geht durch die Nacht, nicht ohne sie, nicht über sie hinweg, sondern durch die Nacht hindurch. Nicht irgendein Wort, sondern ein einleuchtendes Wort: „wollt’ leuchten, wollt’ leuchten“. Was das oft kostet zwischen Eltern und Kindern, Kranken und Gesunden, Einsamen und Zuhörenden…ein Wort, das uns erreicht, ein Wort, das andere erreicht, das leuchtet und Licht bringt!

Gott segne alle, die auf das Wort warten und nach ihm suchen, ein Wort, das kommt und trägt durch die Nacht hindurch.

Abendsegen | Donnerstag, 17. Dezember 2009

Ein afrikanisches Mädchen erzählt: Eines Tages bekamen wir eine neue Lehrerin, eine weiße Amerikanerin. Sie war sehr freundlich, aber sie hatte keine guten Manieren. Sie schrieb zehn Rechenaufgaben an die Tafel. Dann stellte sie zehn Kinder vor die Tafel, jedes Kind sollte eine Aufgabe ausrechnen.
„Wer zuerst fertig ist, dreht sich um“, sagte sie. Aber wir warteten ab, bis alle die Aufgaben gelöst hatten, und dann drehten wir uns alle gemeinsam um.

Gott der Gemeinschaft, die Güte deines Geistes leite uns, die Gabe deines Geistes stärke uns, die Kühnheit deines Geistes wandle uns. Schenke Gemeinschaft und stärke sie, wende dein Angesicht uns zu und bringe uns unversehrt zu einem neuen Tag.