Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Mittwoch 24. April

So lautet ein Bekenntnis zum Denken des großen weltweisen Immanuel Kant. Sein 300. Geburtstag begehen wir in dieser Woche: „Die Freiheit zu denken: das einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt und wodurch allein gegen alle Übel noch Rat geschaffen werden kann.“ Seltsam, dieses Bekenntnis zum Denken klingt wie ein Glaubensbekenntnis – mit scharfen Ausschließlichkeiten: „Die Freiheit zu denken: das einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt, und wodurch allein gegen alle Übel noch Rat geschaffen werden kann.“ Vereinnahme ich Kant religiös, wenn ich da höre: Einzig, allein, gegen alle, noch… ist das nicht bekennende Rede? Bei Martin Luther hieß das: Allein der Glaube, allein die Gnade, allein Christus, allein die Schrift! Und bei Kant heißt es: Allein das Denken! 

Das ist zwar im Stil eines Glaubensbekenntnisses intoniert, aber vom Glauben hat Kant, so fürchte ich, wenig verstanden, er lässt sich an keiner Stelle wirklich auf ihn ein. Glauben ist eher so eine Art „Meinen, Für-wahr-halten“, keine Vernunftleistung, eher ein „Religionswahn“, der der Vernunft mit voranschreitender Zeit weichen muss. Bei Kant kein Wort von Luther. 

So wage ich mit Zittern und Zagen den Satz: Wo Kant mit dem Bekenntnis zum Denken,  ausschließlich zum Selber-Denken, zur Vernunft, hinwill, da sind biblisch Glaubende  schon. Das kann man mit dem Berliner Geistlichen Wolf Krötke gewiss nur „mit Zittern und Zagen“ sagen.Doch blicken Glaubende auf den biblischen Jesus und seinen Einsatz für eine versöhnte Menschlichkeit, so mag das, was die Christenheit damit gemacht hat, zwar immer wieder zum Heulen sein, doch das Augenmaß des Glaubens ist durch Jesus Christus gegeben.

„Gottes Wort im Kant-Jahr“ – das darf kein religiöser Schnörkel sein, den wir an ein Datum hängen. Da wird im Gespräch mit Kant das Augenmaß gefunden für das Menschenmögliche und damit für eine „menschendienliche Vernunft geschärft“(1).

Unsere Welt wimmelt von religiösen Angeboten und aufdringlichen Bekenntnissen. Was dem Glauben an Vernunft verloren geht, wird oft durch Aberglauben ersetzt. Vor all dieser Unvernunft bewahre uns – Kant!

(1)Wolf Krötke, Gottes Wort „im Kant-Jahr“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, 2004, 458-464

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Dienstag, 23. April

„Wissen macht das Gesicht freundlich und lässt die strengen Falten verschwinden“, so steht es im biblischen Buch des Predigers, 8,1. Ein Satz, so recht nach dem Herzen des Philosophen Immanuel Kant, der heute vor 300 Jahren am 23. April 1724 getauft wurde.

Nein, nein, der weltberühmte Philosoph war – anders als mancher denkt – kein grämlich-unfroher Bücherwurm mit strengen Falten auf der Stirn, man erzählt von seinem bezaubernden Charme, ein Gentleman des Denkens, der seine Freude, am Ast der Dummheit zu sägen (1), gern allen mitteilte.

Ein Philosoph, wörtlich übersetzt: ein Weisheitsforscher, ein die Weisheit Liebender, dem aber auch wütend der Satz entfahren konnte: „Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Dafür lebte er: Den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszuführen; er nannte das „Aufklärung“. Das brachte ihm in der Christenheit damals wie heute nicht viele Freunde, denn Aufklärung, Vernunft und Weisheit gehören nicht immer zu den erstrebenswertesten Zielen kirchentreuer Menschen; weshalb sie leider auch unter den felsenfesten Wählern eines jenseits aller Vernunft schreienden Präsidentschaftskandidaten in den USA zu finden sind.

„Wissen macht das Gesicht freundlich und lässt die strengen Falten verschwinden“, so die Bibel und Immanuel Kant. Wissen macht schön. Und dabei blieb Kant einer der berühmtesten Singles der Geschichte. Aber da liegt bei dem Philosophen ein ziemlicher Hase im Pfeffer, ich meine, seine Bibellektüre. Hätte er nur einmal die Psalmen aufgeschlagen, den Prediger, Hiob, Kohelet, Jesus Sirach, die Sprüche oder das Hohe Lied, dann wäre er, der Weisheitsforscher, Frau Weisheit begegnet. Reizvoll, diesem aufregenden Paar zuzusehen, der Herr Philosoph trifft die Frau Weisheit, die an Gottes Seite tanzte und spielte, als er die Welt schuf, so aufzufinden im Sprüchebuch, Kp.8.

Da wäre er gewiss gern dabei gewesen, und hätte sie rufen gehört auf dem offenen Markt:  „Wie lange noch, ihr unreifen Jünglinge, gefällt euch eure Unreife? Dumme hassen Erkenntnis! Wendet euch meiner Belehrung zu! Wer sie hört, bleibt verschont von bösem Schrecken!“ Recht hat sie bis heute.

(1) Hand-Joachim Neubauer, Mit Kant am Ast der Dummheit sägen, Verlag Herder, 2006,

Worte für den Tag – Worte auf den Weg / Montag 22. April

„Anno 1724 d. 22ten April Sonnabends um 5 Uhr ist mein Sohn Emanuel an  diese Welt geboren und hat den 23ten die heilige Taufe erhalten. Gott erhalte ihn in seinem Gnaden Bunde bis an sein seliges Ende um J.C. Willen. Amen“. 

So feierlich trug es die Mutter Anna Regina tagsdrauf ins Hausbuch der Familie Kandt – damals noch mit dt – ein. Das geschah heute vor 300 Jahren in Königsberg, wo der preußische Kalender galt und für diesen Tag den Namen Emanuel bereithielt. Erst nach dem Tod des Vaters änderte der Sohn seinen Namen in Immanuel, ein alttestamentlich-hebräisch bedeutsames Wort, zu übersetzen mit „Gott ist mit uns“, aber auch „Gott sei mit uns“. Nun beginnt schon das Fragen: Welche Fassung wohl seinem Leben gerecht wird? Die biblische Unerschütterlichkeit des „Gott ist mit uns“ oder der biblische Hoffnungstrotz: „Gott sei mit uns!“ Doch lassen wir dieses Kind erst einmal das „Licht der Welt“ erblicken – heute vor 300 Jahren. Viel Raunen und Rauschen hat der 300. Geburtstag Immanuel Kants schon in Bewegung gesetzt: Ausstellungen, Buchausgaben, Aufsätze widmen sich ihm. 

Er gilt als der deutsche Philosoph und deutsche Denker.

Und heute vor 300 Jahren erblickte er das „Licht der Welt“. Zwei Worte, die zu Leitworten seines Lebens wurden: Licht und Welt. Ein Leben lang arbeitete er an und für die Erleuchtung unseres Lebens, für die Aufklärung der Menschen, gemäß dem ersten Wort des Schöpfers: „Es werde Licht !“ Und er arbeitete sein Leben lang – 82 Jahre, für seine Zeit gesegnet lang – an der Frage nach der Welt: Was ist die Welt? Was steckt hinter ihr? Wohin entwickelt sie sich? Wie können wir wir vernünftig und verantwortlich in ihr leben?

Heute vor 300 Jahren, am 22. April 1724, erblickte Immanuel Kant das Licht dieser Welt, der Weltweise, der Weltbürger mit festem Wohnsitz, wie man sagte. In dieser Woche folge ich tastend Augenblicken seines Lebens und seines Fragens, die am Ende zu einer einzigen Frage zusammenrückten: „Was ist der Mensch?“ Das fragen wir uns heute auch. Immer wieder, immer neu. Am 12 Februar 1804 verlässt Immanuel Kant das Licht dieser Welt. Die um ihn waren,  berichteten, er habe undeutlich, aber verständlich geflüstert: „Es ist gut“.

Worte für den Tag / Worte auf den Weg | Sonnabend, 15. April 2023

Am unverzichtbarsten ist im christlichen Festkalender das Osterfest. Notfalls, schlimmstenfalls könnte man alle anderen Feste bleiben lassen. Nicht aber, nie aber Ostern. Dass Jesus von den Toten auferstanden ist, ist die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens. Diesen gäbe es nicht, wenn Ostern nicht gewesen wäre.

Die Auferstehung Jesu von den Toten wird in den biblischen Berichten nirgends beschrieben, sie bezeugen nicht die Auferstehung, sie bezeugen allein das Auferstanden-Sein des Jesus von Nazareth.
Nach dem entsetzlich entehrenden Tod durch eine Kreuzigung – im römischen Recht nur Sklaven vorbehalten, die waren keine „Menschen“ – seine Jüngerinnen und Freunde waren schockiert, eingeschüchtert, geradezu irre geworden an Jesus‘ Sendung. Seine Mission schien gescheitert, ihre Hoffnung vernichtet. Doch binnen weniger Tage machten die konsternierten und verängstigten Jesus-Gruppen die verloren geglaubte Sache des Gekreuzigten von neuem und nun erst recht zu
ihrer eigenen Sache. Fragt man, wie ist dieser rätselhafte Umschwung zu erklären, so lautete die Antwort der Beteiligten: „Wir haben den Herrn gesehen!“.

Und nach sieben Wochen, am Pfingstfest, treten sie furchtlos aus der ängstlichen Reserve heraus in die Öffentlichkeit und sagen, dass die römische Militärmacht ihren Herrn nicht versenkt, sondern Gott ihn erhöht habe. Damit kommt jene Geschichte christlicher Verkündigung in Gang, die unsere Welt wie kaum ein anderes Geschehen bewegt hat. Die Christen werden mit dieser Botschaft „Protestleute gegen den Tod“. Diesem Auftrag sind sie sehr oft nicht gerecht geworden und haben die gewalttätige Karfreitagswelt gestärkt. Doch ihre Herkunft ist Ostern – das bleibt zu erinnern! Der amerikanische Schriftsteller John Updike* mahnt die Christen: „Lasst uns nicht Gottes spotten mit Ausflüchten! Macht das Ereignis nicht zum blassen Zeichen der Glaubenseinfalt früh’rer Zeiten: Durchschreiten wir die Tür!“

  • *John Updike, Sieben Strophen über Ostern, im Internet zu finden unter: „Credo ut intelligam“
  • John Updike, Seven stanzas about Easter, im Internet zu finden unter „NAMENSgedächtnis“ Google „John Updike über Ostern“

Worte für den Tag / Worte auf den Weg | Freitag, 14. April 2023

Heute liegt die Katastrophe von Karfreitag eine Woche hinter uns. Das entsetzliche Sterben ihres Lehrers und Freundes Jesus von Nazareth hat viele aus seiner nahen Umgebung völlig ratlos, verwirrt und schockiert in ihr Leben zurückgeworfen. Einige fingen wieder an mit dem Fischer-Beruf, den sie vor dem turbulent-radikalen Abenteuer mit Jesus ausübten, andere wandern wie wie benommen in ihre Heimatorte, weg von Jerusalem. Eine nahe Freundin sucht nach seinem Grab, ein treuer Weggenosse schließt sich völlig ein, alle sind ohne Orientierung, wirken wie verwaist.
Einzig das Johannes-Evangelium, zwar Jahrzehnte später geschrieben, hält doch eine Erinnerung wach, die tief anrührend ist: „Es standen bei dem Kreuz Jesus seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Da sah Jesus seine Mutter und den Jünger, den er liebte, dastehen und sagte zu seiner Mutter: „Frau, hier ist dein Sohn“ Dann sagte er zum Jünger: „Hier ist deine Mutter“ Und von da an nahm der Jünger sie zu sich.“
Der Erzählung nach nahm er noch einen Schluck Essig und sagte: “ ‚Es ist vollbracht.‘ Er senkte den Kopf und gab den Geist auf.“

Diese letzte, berührende Szene zeigt noch einmal, worin die Sendung Jesu besteht. Jesus‘ Mutter und der Lieblingsjünger werden nach dem Tod verwaist zurückbleiben. Die Lücke, die der Verlust des Sohnes, der Verlust des geliebten Meisters, reißt, wird nicht zu schließen sein. Doch verweist Jesus die beiden aufeinander. Und so bleiben die beiden nicht allein in ihrem Schmerz und ihrer Trauer. Noch im Sterben zeigt Jesus, dass sein Auftrag die Liebe ist, die Freundschaft, die Gemeinschaft, die Menschenfreundlichkeit. Nicht alles Unglück auf der Welt ist zu verhindern. Aber kein Mensch soll im Unglück allein und verwaist sein. Wir sind von Jesus aneinander gewiesen. Als Geschwister, als Gefährtinnen und Gefährten sollen wir einander begegnen. Keiner soll allein bleiben, wenn Unglück und Schmerz ihn treffen. So erfüllen wir den Willen Jesu. Wer seinen Nächsten liebt, der liebt auch Jesus, der liebt auch Gott. Denn wer liebt, in dem ist Gott gegenwärtig.

Worte für den Tag / Worte auf den Weg | Donnerstag, 13. April 2023

Die Woche mit dem Osterfest geht langsam zu Ende. Die Botschaft lautete: „Jesus lebt!“ Vier Tage später fragen wir: Wo kann man den Osterglauben finden? Die Bibel erzählt die Geschichte von zwei Männern, die vom Osterausflug zurückkehren. Sie hatten von Jesus von Nazareth gehört, von seinem Zug nach Jerusalem und dass er dort das Reich Gottes, das Reich der Freiheit und des Friedens ausrufen würde. Und? Sie hatten erleben müssen, dass er eines elenden Todes starb. Da war auch in ihnen das wichtigste zum Leben gestorben, ihre Hoffnung.

Nun würde alles so weitergehen wie zuvor: Gewalt würde herrschen, nicht die Liebe, Macht würde herrschen, nicht das Recht. Da hatten zwei Sympathisanten ihre Hoffnung und ihren Mut zusammengenommen und sich der Jesus-Bewegung angeschlossen – nun kehren sie heim wie die kleinen Leute aus Revolutionen und Kriegen heimgekehrt sind: Nichts gewonnen, viel verloren und für den Spott werden die Nachbarn sorgen. Zwei Männer unterwegs, ratlos und enttäuscht. Es ist unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder Begeisterung oder Glauben an das Reich Gottes finden werden. Da gesellt sich ihnen ein Dritter zu. Sie erzählen ihm von verrückten Gerüchten, es gäbe
ein leeres Grab. Aber, was soll denn das bedeuten? Der Dritte beginnt zu erklären, aber sie schweigen, wandern in ihr Dorf, das heißt Emmaus, sein Reden bleibt wirkungslos.

Am Abend laden sie ihn ein: „Bleib bei uns“, sagen sie zu ihm. Selbstverständliche Gemeinschaft der kleinen Leute, soll er doch bleiben! Dann erzählt die Bibel: “ Und als er mit ihnen zu Tische saß, nahm er das Brot, dankte, brach es und gab es ihnen, Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten Jesus.“ Da wird ihnen alles klar, sie erkennen ihn, sie finden den Glauben und erinnern sich: „Brannte nicht unser Herz, als wir unterwegs waren?“ Da kann man den Osterglauben finden. Er kommt nicht auf Befehl, auch nicht in der Kirche, er begegnet uns, irgendwo, irgendwann, auf der Reise, beim Reden, beim Essen, beim Trinken, beim Zuhören, im Gespräch, unterwegs. Und dann glauben wir, dass er unser Leben begleitet.

Worte für den Tag / Worte auf den Weg | Mittwoch, 12. April 2023

Kaum zwei Tage liegt das Osterfest hinter uns und man meint, es sei alles wie vorher. Denn nicht immer kann man an die Auferstehung glauben. Nicht immer hat man den Mut zur österlichen Freude. Die kann einem vergehen mit Putins menschenfeindlichem Krieg gegen das ukrainische Volk. Deshalb: „Ostern“ – Zwar war Jesus war nach der Katastrophe des Karfreitag seinen Jüngern erschienen. Und doch: Ostern ist nicht das Happy-End einer furchtbaren Geschichte – Risse, Wunden, Schmerzen bleiben. Der Zweifel, die Skepsis auch. Die Bibel weiß es sehr genau:
Als Jesus den Jüngern erscheint, ist einer nicht dabei, er heißt Thomas. Die Jünger sind voll Trauer. Sind sie einem Irrlehrer auf den Leim gegangen? Haben sie Familien und ihre Arbeit für nichts und wieder nichts verlassen? Ihr Vertrauen in dies „Jesus-Projekt“ verloren. Erwartung des Gottesreiches?
Das war wohl gestern…Sie sind drauf und dran depressiv zu werden. Sie…, wie sagen wir?, machen zu. Da tritt Jesus in ihren Kreis, wendet sich ihnen zu voll Liebe und Wärme und spricht: „Schalom l’cha – Friede sei mit euch!“ und überwindet ihre Depressionen, nimmt ihnen die Ängste.

In der Gruppe fehlt einer: Thomas. Die Freunde berichten ihm, aber er will nicht glauben, was andere glauben. Seine Skepsis bleibt. Aber auch auf Thomas geht Jesus zu, würdigt seinen Widerstand, seine Sehnsucht, glauben zu wollen und es nicht zu können. Skepsis heißt auf Deutsch: Genau hinsehen.
Das schenkt ihm Jesus. Thomas sieht die Wundmale und ist überzeugt: Jesus ist im Leben.
Thomas ist kein ungläubiger Jünger, er erinnert uns an die Tugend der Skepsis, sie deckt Verblendung auf und schönen Schein, sie schärft das Gewissen und festigt den Glauben. Glaube und Zweifel sind keine Gegner, sondern Geschwister. Eine Ostererfahrung – Dank! Thomas!

Worte für den Tag / Worte auf den Weg | Dienstag 11. April 2023

Während die einen an Ostern riefen: „Christus ist auferstanden…!“, bekannten die anderen: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Doch einer blieb stumm. Der Jünger Thomas war nicht bereit zu rufen, was alle riefen. Er sagte: „Ich werde nur glauben, wenn ich Jesus selber sehe und berühre.“ Der erste Faktenscheck in der christlichen Geschichte!
Damit konnte Thomas in der Kirchengeschichte keine Lorbeeren ernten. Das Etikett „Der ungläubige Thomas“, wurde ihm angehängt, etwas von oben herab, leicht überlegen, als wenn das so einfach wäre mit dem glauben.
Aber wir verdanken diesem „zweifelnden“ Thomas auch das eindeutigste Bekenntnis zu Jesus, das im ganzen Evangelium steht: „Mein Herr und mein Gott!“
Eine erstaunliche Gestalt, dieser Thomas! In der Bibel hören wir von ihm fast nichts, nur im Evangelium des Johannes spricht er aus, was die anderen Jünger sich nicht trauen.
Einmal ist Jesus in Lebensgefahr, er soll verhaftet werden und versteckt sich. Dann aber geht er wieder in die Öffentlichkeit und allein Thomas sagt: „Wir gehen mit! Wir sterben mit dir!“ Er sagt nicht: „Ach das Unternehmen geht gegen die Wand, hören wir auf, verschwinden wir!“
Nein! Im Gegenteil: Dann fragt er einmal Jesus: „Wir wissen nicht den Weg, den du gehen willst!
Wohin geht es?“ Ich bin ihm so dankbar, dass er das fragt. Denn wer weiß denn heute den Weg, den Jesus gehen würde in diesen Zeiten. „Thomas der Zweifler“? Oh, nein! Thomas, der Neugierige, der lernen, der erkennen will, sollte es heißen.
Und dann nach Jesu Tod am Kreuz sagt er: „Wenn ich nicht die Wunden sehe, glaube ich nicht!“ Es heißt, er sei nicht bei den anderen gewesen in den leidvollen Tagen nach dem Tode Jesu. Fürchtete er, enttäuscht zu werden? Er begegnet Jesus und der sagt: „Lege deine Hand in meine Wunden und glaube!“ Und er glaubt, gegen alle Zweifel. Und man möchte fast sagen: Dein Zweifel hat dir geholfen! So möge es vielen ergehen – wie Thomas. Mit Thomas.

Abendsegen | Sonntag, 26. Februar

„Ausfahrt freihalten!“ an den Gartenzäunen meiner Straße steht es, gebieterisch, mahnend, wie „Letzte Warnung!“ Freiheit für eine aufbrechende Ausfahrt. Garten für Garten: „Ausfahrt freihalten!“ Eine Nachbarschaft im Daueraufbruch. Einmal steht auch da: „Tag und Nacht freihalten! Parkverbot!“ „Ausfahrt freihalten!“ Da kommt alles Streben und Hoffen einer Auto-Nation auf Freiheit zusammen: „Das muss ein schlechter Deutscher sein, dem niemals fiel die Ausfahrt ein!“ Zwischen allen hängt ein Schild, das mir täglich zu denken gibt. Da steht nicht drauf „Ausfahrt freihalten“, sondern „Freiheit aushalten!“
Je länger ich lebe, desto gewisser wird mir: Dieses Gebot kann an die Zehn Gebote angehängt werden, kaum etwas ist schwerer und lebenserhaltender als dies: „Freiheit aushalten!“
So viele Nationen wurden 1989 frei von Vorherrschaft und Bevormundung und wie schnell wollten sie selbst herrschen, ließen Andere, Fremde und Flüchtende nicht ins Land. „Ausfahrt freihalten!“, ja, bitte! Aber „Freiheit aushalten!“ – ist das schwer! Nationen mit langer Freiheitsgeschichte haben heute mit Belagerungen ihrer freiheitlichen Parlamente zu kämpfen.
Am Nachbarzaun steht seit langen Jahren: „Ausfahrt freihalten!“ – ein Gartentor weiter seit wenigen Jahren ein neues Schild mit einer alten Mahnung: „Freiheit aushalten!“

Unser Vater: Bringe mit deinem stärkenden Segen unser Grübeln zur Ruhe; lass uns in der neuen Woche gute Erfahrungen mit der Freiheit machen!

Abendsegen | Freitag, 24. Februar

Seit einem Jahr hält das ukrainische Volk dem menschenfeindlichen Überfall auf sein
Land durch Russland stand. Neben aller solidarisch wirksamen Hilfe durch befreundete Länder, bleibt der Widerstand ein Wunder. Woher kommt diese Überlebensenergie, diese seelische Stabilität, dieser Lebensmut, diese Unerschütterlichkeit, dies Vertrauen in die Verheißung der Freiheit?
Es ist gewiss eine starke Form des Trotzes. Im Trotz erfahren wir unsere Autonomie,
unsere Selbständigkeit, unsere eigene Persönlichkeit. In Trotzphasen emanzipieren sich Kinder. Für Christen ist Ostern das große Trotzfest: Du, Tod, wirst nicht siegen! Martin Luther wie Martin Luther King gewannen ihre Stärke aus ihrem Trotz – oder wie ich bei meiner Kollegin Christina Brudereck gelesen habe – aus ihrer Trotzkraft. Trotzkraft, das steckt im biblischen Wort für Mut, ometz lev, wörtlich übersetzt: Stärke des Herzens. Ich will gewiss nicht die Ukraine zu einem bibeltreuen Volk erklären, aber der Beginn des 27. Psalms ist erstaunlich: „Der Herr ist meines Herzens Stärke, vor wem sollte mir grauen?“

Unser Vater, segne die Ruhe der Nacht, stärke den Lebensmut unserer ukrainischen Nachbarn, dass sie sich aufrichten nach jedem Schlag.