Wort zum Tage – Worte auf den Weg / RBB 8. August – 13. August 2005
Vor 2 Jahren starb Dorothee Sölle, eine schriftgelehrte Predigerin mit der unnachgiebigen Leidenschaft einer biblischen Prophetin. Ihr Blick galt den übersehenen Menschen in der weiten Ökumene, sie nahm aber auch die Besuche ihrer Enkeltochter wahr. Dorothee Sölle erzählt: „Dieses kleine Mädchen, dreieinhalb Jahre alt, holte alle meine Tassen aus dem Schrank und baute sich – unter meinen besorgten Augen – ein Cafe auf. Es schenkte imaginären Kaffee an imaginäre Gäste aus. Nach einer Weile sagte ihre Mutter: ‚Jetzt musst du aufräumen, wir wollen zu Abend essen’. Das Kind antwortete – nicht aggressiv, eher nachdenklich – mit dem Satz: ‚Mama, du, du denkst immer nur in echt’. Ein wunderbarer Satz!“, fährt Dorothee Sölle fort, „mir fiel dazu ein, dass ich seit etwa fünfzig Jahren wenig ‚in echt’ gedacht habe, sondern vielleicht in Träumen und Hoffen, dass es außer ‚ in echt’ noch etwas anderes geben muss. Bedeutet Erwachsenwerden denn immer nur dümmer, immer blinder, immer weniger achtsam zu werden?